ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
Sicherheit sehr schwer für ihn, all das zu formulieren. Zuzugeben, dass jemand anderes für meine Rettung gesorgt hatte, aber das war mir plötzlich alles gleichgültig. Ich war bereit mich selbst in Emotionen zu ertränken. Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen und legte das Gesicht in die Hände, dann fing ich an zu schluchzen. Ich weinte ohne Tränen. Die einzelne Träne, die sich ihren Weg über meine Wange gebahnt hatte, war der einsame Vorbote eines Tränenflusses, der tatsächlich versiegt war. Ich wusste gar nicht mehr, wie oft es mir jetzt schon so ging. Meine Gefühle hatte ich so tief in mir weggesperrt, dass ich selbst jetzt, wo ich es doch wollte, sie nicht wirklich befreien konnte. Würde ich je wieder wirklich etwas fühlen oder hatten mich die unzähligen Verluste nun doch kaputt gemacht? Zu viele Menschen hatten schon mein Leben verlassen. Es war nicht fair. Nein, wie ich mich verhielt war Aljoscha und den anderen gegenüber nicht fair, aber ich konnte mir nicht helfen. Ich sah endlich klar, was ich vorher nicht sehen wollte oder nicht sehen konnte: Aljoscha war mir nicht nur nicht egal, er war mir wichtig. Er hatte es geschafft mir etwas zu geben, das ich lange verloren geglaubt hatte. Den Glauben an das Gute. Das war für mich einfach unbezahlbar, denn es ging mit einer noch wichtigeren Erkenntnis einher: Die Welt war nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Irgendwie gab es irgendwo einen Weg für mich um wieder glücklich zu werden. Jetzt war auch dieser Gedanke nur noch lächerlich, denn ich hatte dafür schon einen viel zu hohen Preis gezahlt.
Eine Hand berührte meine Schulter und ich sah auf. Es war Gry und ihr Gesichtsausdruck war voller Schmerz, als würde er widerspiegeln, was ich gerade in diesem Moment fühlte.
„Ich verstehe deine Gefühle. Ich denke, für keinen von uns ist das leicht, aber es hat auch niemand Schuld daran. Dein Bruder hat Recht. Ich weiß, das ist kein Trost, aber wir können nur weiter machen und uns bemühen.“ Es dauerte eine Weile, dann nickte ich langsam. „Als Ärztin weiß ich wie das ist. Hinter jedem Mensch steht ein Schicksal. Solange wir noch Gefühle haben, sagen wir uns ' das darf mir nicht egal sein', aber wenn wir anfangen uns für alles und jeden verantwortlich zu fühlen, dann gehen wir daran kaputt. Ein Mensch kann nun einmal nicht endloslang alles ertragen.“
Sie streichelte meine Schulter, wie man es bei einem kleinen Kind tun würde, aber erstaunlicherweise half es. Mir war bewusst, dass sie Recht hatte, dass auch mein Stiefbruder Recht hatte, doch es war schon jetzt nicht mehr zu ertragen. Ich sah auf. Radu lief nervös auf und ab und massierte sich selbst mit einer Hand den Nacken. Ich kannte diese Gesten. Er rang um Worte. Plötzlich, mit ein paar langen Schritten, stand er wieder direkt vor mir. In seinem Gesicht immer noch eine Spur von Zorn.
„Weißt du Milla, ich verstehe dich nicht. Du warst bereit dich selbst zu opfern, aber wenn es jemand anderes tut, kannst du es nicht ertragen. Dann ist mit einem Mal wieder jedes Wort zu viel.“ Ich sah ihn starr an. Mein Blick leer. Darauf hatte ich nichts zu erwidern. „Ich versteh' das einfach nicht. Gibt es etwas, was ich wissen muss? Willst du mir irgendetwas sagen?“ Sein Tonfall war eindringlich, doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Nein.“ Ich atmete tief ein und aus. „Es tut mir leid.“
„Hey, er ist ein verdammter Held. So alles in allem hat er damit jedem von uns das Leben gerettet. Er verdient keine Trauer sondern Anerkennung.“ Sprach Veit einfach in den Raum hinein. Seine Stimme war wie so oft voll von Energie und Überzeugung, nur irrte er sich. Er verdiente mindestens beides. Eigentlich sogar noch mehr. Das verdiente jeder, der an diesem Tag sein Leben für meine Freunde und mich eingesetzt hatte. Ich hatte meine Hilfe schon zugesichert, aber nun war ich wirklich entschlossen. Es war die richtige Entscheidung.
„Ich habe mich bereits entschieden zu helfen. Gleich werde ich noch einmal mit Rubinov sprechen. Was immer er zu sagen hat, ich werde kooperieren.“
Diese Worte hinterließen einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund. Warum auch immer Rubinov gelogen hatte, ich war es leid. Ich wusste nicht einmal, ob ich ihn deswegen zur Rede stellen sollte. Vielleicht war es auch viel mehr nur ein Missverständnis. Warum ich bereit war das in Erwägung zu ziehen, wusste ich
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