Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
zu begehren, ist Falle Nummer zwei. Konsequenterweise scheitert auch er.
Die interessanteste Erfahrung macht sicherlich der dritte Prinz. Er ist schon reifer als die beiden ersten, er ist auch näher an seinen Gefühlen, ist mit schwerem Herzen unterwegs. Er weiß, oder ahnt zumindest, welche Herausforderungen auf der Insel des Weiblichen auf ihn warten – immerhin ist er ja als einziger verheiratet.
Er ist der erste der Brüder, der ins Innere des Schlosses vordringt und der Hexe in ihrer wahren Gestalt begegnet. Die Hexe hält es offensichtlich nicht mehr für nötig, den Mama-Trick, oder den Geliebten-Trick anzuwenden, sie schenkt ihm reinen Wein ein. Und nun kommt die entscheidende Situation: Er begegnet der Hexe mit dem Schwert.
Das Schwert der männlich-geistigen Klarheit ist in vielen Märchen notwendig, um gegen die Tricks und Machtspiele der negativen Hexe zu bestehen. Das Schwert der Entscheidung schafft die notwendige Distanz, die erforderlich ist, um nicht verstrickt, involviert und becirct zu werden. »Gib der Hexe nicht, was sie will, sondern was sie braucht!« heißt es in einem russischen Märchen. Wer der negativen Hexe – und um eine solche Gestalt handelt es sich hier – mit kindlicher Unschuld begegnet, wird ihr Opfer, wird verführt, manipuliert, manchmal vergiftet, im vorliegenden Märchen versteinert.
Insofern tut der dritte Prinz zunächst das einzig Richtige: Er zieht das Schwert. Aber: Die Entschiedenheit geht ihm verloren, als die Hexe sich in das Bild seiner Frau verwandelt. Was bedeutet das? Jeder Mann trägt ein Frauenbild in seiner Seele, wie bewusst oder unbewusst auch immer es sein mag. C.G. Jung nennt dieses Frauenbild Anima. Eine raffinierte Hexenfrau wird ein Gespür für dieses Frauenbild haben. Sie kann sich in diese Frau verwandeln, um dadurch Macht über einen Mann zu bekommen. Eine Hexenfrau spürt, wittert geradezu diese innere Frauengestalt in der Seele des Mannes, und sie wird auf dieser Klaviatur spielen können. Wenn ein Mann sich seiner Anima nicht ausreichend bewusst ist, wird er mit sich spielen lassen.
Drei Irrwege, so erzählt diese Geschichte, führen nicht zur Liebe und zum Wasser des Lebens. Erstens in der Frau ausschließlich die nährende, versorgende Mutter zu suchen; zweitens in der Frau ausschließlich die Geliebte zu suchen; drittens in der Frau das zu suchen, was dem inneren Frauenbild, der Anima entspricht, die Traumfrau sozusagen. Auf allen drei Wegen kümmert sich der Mann nicht um das Wesen der Frau, er ist nur orientiert an seinen eigenen Bedürfnissen. Die wichtige Zauberfrage: »Wer bist du?« kommt ihm nicht über die Lippen.
Der verzweifelte König merkt nun, dass mithilfe der Prinzen, also männlicher Energien, das Problem nicht zu lösen ist. Und deswegen kommt er auf den rettenden Einfall, eine Frau, die Prinzessin, auf die Insel zu schicken. Wenn man dies auf der Subjektstufe deutet, versucht er es jetzt mit seiner eigenen inneren Weiblichkeit, nicht mit einer mehr oder weniger unreifen männlichen Haltung.
Der erste Schritt zur Heilung die ist lebendige Verzweiflung. Zwölf Tage und zwölf Nächte lang fließen die Tränen und dann macht sich die Prinzessin auf den Weg. Es ist ein großer Unterschied, ob Verzweiflung nur im Kopf stattfindet, indem man sich vergeblich das Hirn zermartert, oder ob sie lebendig gelebt wird, durch Tränen. Der erste Schritt, um zurückzufinden zur Welt der Gefühle ist meist, lebendigen Schmerz zuzulassen.
Für Männer der letzten Generationen ist es sicherlich eine große Heldentat, Tränen fließen zu lassen, all das zuzulassen, was gemeinhin niemals als männlich galt. Man denke nur an die Botschaften in der Kindheit: Ein Indianer kennt keinen Schmerz, ein Junge weint nicht und so fort. Wenn der Weg aus dem Gefängnis dieser Männerrolle gegangen werden will, sind Tränen gute Helfer und Wegweiser. Sie helfen uns aus der Versteinerung heraus, auch sie sind das Wasser des Lebens.
Weshalb ist die Waffe einer Hexe im Märchen so oft die Versteinerung? Ganz einfach: Hexengefühle, dunkle Gefühle machen in der Regel derart viel Angst – vor allem natürlich Männern –, dass sie sich lieber verschließen, ihr Herz beschützen, symbolisch gesehen versteinern. Wer kennt das nicht, in einer Situation der emotionalen Überforderung, in einer Grenzsituation für Momente zu Stein zu erstarren, weil das Schreckliche, Angst machende, sonst nicht auszuhalten wäre.
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