Alter schützt vor Scharfsinn nicht
1
» B ücher!«, sagte Tuppence.
Sie sprach das Wort so empört aus, dass es fast wie eine kleine Explosion klang.
»Was hast du gesagt?«, fragte ihr Mann.
Tuppence sah ihn über die ganze Länge des Zimmers hinweg an.
»Ich habe nur ›Bücher‹ gesagt.«
»Soso!«
Vor Tuppence standen drei große Umzugskisten. Aus allen hatte sie schon Bücher herausgenommen, trotzdem waren sie zum größten Teil noch voll.
»Es ist unglaublich«, seufzte sie.
»Weil sie so viel Platz brauchen?«
»Ja.«
»Willst du sie denn alle aufstellen?«
»Ich weiß es nicht genau, Tommy«, antwortete Tuppence. »Das ist ja gerade das Problem. Man weiß nie genau, was man eigentlich will. Ach, du meine Güte.« Sie seufzte wieder.
»Na, hör mal!«, sagte ihr Mann, »das passt ganz und gar nicht zu dir. Die Schwierigkeit bei dir ist doch, dass du viel zu genau weißt, was du willst.«
»Ich meine das so«, erklärte Tuppence. »Da sitzen wir nun, werden älter und kriegen Rheuma – um das Kind beim Namen zu nennen. Das merken wir vor allem, wenn wir uns ungewohnt bewegen. Du weißt schon, man streckt sich, um Bücher einzuordnen oder um etwas aus einem hohen Regal zu nehmen, oder man kniet sich hin, weil man in den unteren Fächern etwas sucht, und dann kommt man nicht mehr so leicht auf die Füße.«
»Ja«, gab Tommy zu, »das liegt an den Beschwerden des Alters. Wolltest du das sagen?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Ich wollte damit sagen, dass es wunderbar ist, ein Haus kaufen zu können und genau das richtige zu finden. Mit ein paar kleinen Veränderungen natürlich.«
»Wenn man zum Beispiel aus zwei Zimmern eines macht«, stellte Tommy fest, »und etwas anbaut, das du Veranda nennst; dein Bauunternehmer bezeichnet es als Wintergarten und ich finde, es ist eine Loggia.«
»Es wird ausgesprochen hübsch werden«, erklärte Tuppence entschieden.
»Wenn es fertig ist, werde ich’s nicht wiedererkennen. Meinst du das?«
»Aber nicht doch! Ich wollte nur andeuten, dass du am Ende entzückt sein und behaupten wirst, eine einfallsreiche und künstlerisch sehr begabte Frau zu haben.«
»Also gut. Ich werde es mir merken.«
»Das brauchst du gar nicht«, antwortete Tuppence. »Die Worte werden nur so aus dir hervorsprudeln.«
»Und was hat das mit den Büchern zu tun?«
»Wir sind mit zwei oder drei Bücherkisten eingezogen. Wir haben vorher alle Bücher verkauft, die uns nicht mehr wichtig waren, und nur die mitgenommen, von denen wir uns nicht trennen konnten. Und dann sagten die – wie heißen sie noch? Die Leute, die uns das Haus verkauften, sagten, sie wollten nicht alles mitnehmen und wenn wir ihnen ein gutes Angebot machten, würden sie ein paar Sachen dalassen, vor allem Bücher. Dann sind wir hergefahren, haben sie uns angesehen…«
»… und ein Angebot gemacht«, ergänzte Tommy.
»Ja. Wahrscheinlich haben wir nicht so viel gekauft, wie sie gehofft hatten. Aber einige Möbel waren auch zu abscheulich. Na, die brauchten wir glücklicherweise nicht zu nehmen. Doch als ich die Bücher sah, die Kinderbücher, die im Wohnzimmer standen – es waren sogar ein paar meiner Lieblingsbücher dabei –, da wollte ich sie unbedingt haben. Weißt du, die Geschichte von Androclus und dem Löwen zum Beispiel, von Andrew Lang. Ich kann mich erinnern, dass ich sie gelesen habe, als ich acht war.«
»Konntest du mit acht Jahren schon so gut lesen?«
»Ja. Ich habe es mit fünf gelernt. Damals war das so üblich. Ich wusste nicht mal, dass man es richtig lernen musste. Weißt du, jemand hat eine Geschichte vorgelesen und wenn man sie schön fand, merkte man sich, wo das Buch im Regal stand; man durfte es auch herausnehmen und sich ansehen. Und plötzlich entdeckte man, dass man es las, ohne sich viel um die Orthografie zu kümmern. Später war das dann weniger gut«, fügte sie hinzu. »Ich habe immer Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung gehabt. Wenn sie mir jemand mit vier Jahren genau beigebracht hätte, wäre das vernünftiger gewesen. Mein Vater hat mir natürlich addieren und subtrahieren und multiplizieren beigebracht; er fand, das kleine und große Einmaleins wären das Wichtigste, das man im Leben lernen könnte. Dividieren habe ich selbstverständlich auch von ihm gelernt.«
»Was für ein kluger Mann er gewesen sein muss!«
»Ich weiß nicht, ob er so besonders klug war«, erwiderte Tuppence, »jedenfalls war er sehr, sehr nett.«
»Sind wir nicht ein wenig vom Thema abgekommen?«
»Ja.« Tuppence
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