Altes Herz geht auf die Reise - Roman
nicht freundlich vor, sondern von Grund auf falsch und hinterlistig, und wenn man sich auch vor böser Nachrede hüten mußte, das Wort ging ihm doch im Kopf herum: »Ein Gau ist rauh, aber ein Schlieker ist ein Betrüger …«
»Und«, dachte der Professor, »so viel weiß ich doch noch von meinem alten Fritz Reuter, daß ein Schlieker ein Schleicher heißt.« »Gott schütze mich!« rief er ängstlich bei sich, »wohin gerate ich –?! Welche Welt – sofort müßte ich heim. Aber das Kind, das arme, verkommende Kind – das Haus anstecken – und sie spricht es mit ihren Kinderlippen aus! Nein, bleiben muß ich nun und es durchkämpfen …«
Da wurde es hell, und der Wirt kam mit der Lampe.
»Es hat wohl ein bißchen gedauert? Ja, ja, hohe Herren warten nicht gern, und ein Armer muß zehnmal laufen,ehe ein Reicher auch nur aufsteht. Ich habe den Schweinen schnell Futter eingetan, wir sind bloß Bauern, Herr, bei uns kommt das Vieh vor dem Menschen. – Und so haben Sie hier denn in der Ecke gestanden und keinen Fuß vor den andern gesetzt, und ich Dösbartel denke nicht einen Augenblick daran, daß dies ja dem alten Pastor Thürke sein Arbeitszimmer ist, und kein Gedanke an eine offene Rübenluke im Fußboden. Nun, Sie als studierter Herr werden ja auch manchmal nicht alle Ihre Gedanken auf einem Haufen beisammen haben, und so dürfen Sie es einem einfältigen Menschen nicht für ungut nehmen, daß es ihm auch nicht anders geht …«
Über all dem bösen, scheinheiligen Geschwätz hatte sich der Professor umgesehen, und ein richtiges pastörliches Studierzimmer war es, dem eigenen gar nicht unähnlich, in dem er da war, mit Stehpult und großem Schreibtisch, einem grünen Plüschsofa in der Ecke und einem Mahagonitisch davor. Auf das Sofa ließ er sich langsam nieder und warf dabei einen halb sehnsüchtigen, halb traurigen Blick auf die hohen Regale, die um die Wände herumliefen. Denn es jammerte sein Herz, wie da die Bücher, dick verstaubt, durcheinander lagen, mit großen Lücken dazwischen, und manche sogar aus den Einbänden gefallen.
Aber dies vertraute Zimmer gab ihm doch auch trotz aller Müdigkeit – eine freundliche Langmut, und so sagte er denn zu seinem Wirt: »So müssen Sie nicht mit mir reden, Herr Schlieker. Ich versteh auch so, daß ich Ihnen kein erwünschter Gast bin. Und sobald ich weiß, was es mit der Rosemarie für eine Bewandtnis hat und wie ihr zu helfen ist, will ich Ihnen nicht weiter zur Last fallen, sondern gehen.«
»Ja, ja«, sagte Päule, rieb sich bedachtsam das rotblonde Kinn und sah den Professor starr an. »So hat sich dennalso die Marie mal wieder hingesetzt und eine Beschwerde über die bösen, betrügerischen Schliekers ans Vormundschaftsamt geschrieben. Aber die hohen Herren dort müssen ja rein gar nichts zu tun haben, daß sie ohne jede Anfrage an mich oder den Schulzen gleich losfahren auf die Anzeige von solch unmündigem Kind.«
»Nein«, antwortete der Professor hastig. »Das ist ein Mißverständnis von Ihrer Frau, Herr Schlieker, ich bin niemand vom Amt oder Gericht, ich bin der Professor Gotthold Kittguß aus Berlin.«
Der andere rieb sich weiter das Kinn, und es war so, als riebe er ein Lachen über das ganze, immer fuchsmäßiger werdende Gesicht breit. »Wer das gedacht hätte«, wunderte er sich. »Also nichts Amtliches, gar nichts.« Er beugte sich über den Tisch und sah dem Professor nahe in die Augen. »Aber etwas Verwandtes zur Marie sind Sie doch, nicht wahr? Verwandtschaft ist doch da –?«
Der Professor hielt dem lauernden, lächelnden Gesicht mutig stand. »Nein, auch das bin ich nicht. Aber ich bin ein alter Studienfreund vom seligen Pastor Thürke und will ihm …«
Er brach ab, denn der andere hatte mit einem Ruck den Tisch zwischen ihnen beiden fortgerissen und stand nun vor ihm, die Fäuste geballt und das Gesicht scharlachrot vor Wut. »Und da kommen Sie her«, schrie er, und seine Stimme kippte in die Fistel vor Wut, »kommen her ohne ein Recht und ein Gesetz und stänkern in meinem Haus und hetzen die kleine, widerborstige Hexe nur noch mehr gegen uns auf! Ich pfeif auf Ihre Professorenschaft, ich schmeiße Sie raus aus dem Haus, Sie alter Stänkerer, Sie! Ich schlage Ihnen alle Knochen im Leibe entzwei, wenn ich Sie hier noch einmal sehe, Sie … Sie …«
Er sah wirklich so aus, der Päule Schlieker, als wollte er sich sofort auf den alten Professor stürzen, und wenn eraufhörte mit Brüllen, so nur darum, weil er den Atem
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