Altes Herz geht auf die Reise - Roman
lügen dürfen. Du lügst doch nicht?«
»Die lügen und die betrügen!« rief sie. »Und wenn wir gegen sie aufkommen wollen, hilft uns allein die List.«
»Die List ist bei den Bösen, Rosemarie«, warnte der Professor. »Bei uns aber muß die Wahrheit sein.«
»Ach!« rief sie verzweifelt. »Warum habe ich dich nur gerufen?! Wenn du nicht auf mich hören und mir nicht so helfen willst, wie ich es dir sage, so machst du alles nur schlimmer. Die Kinder helfen mir schon und tun, was ich will. Vielleicht schaffe ich es mit ihnen allein. Es ist
mein
Haus, das dort«, rief sie leidenschaftlich. »Und es ist
mein
Hof und
mein
Vieh und
mein
Acker, und die Schliekers wollen es mir stehlen. Aber ich lasse es ihnen nicht! Der Philipp hat mir gesagt, wenn es ganz schlimm kommt, so zünden wir es lieber an und verderben alles, als daß …«
»Still! Still!« rief der Professor erschüttert. »Du weißt ja nicht, was du sprichst, du armes, unseliges Kind du! Haben sie dich so gequält?!«
Sie war still nach dem Ausbruch, nur ihr leises, jammervolles Weinen war zu hören.
»Rosemarie«, sagte er sanft. »Es gibt einen hellen Wegund es gibt einen dunklen Weg. Möchtest du denn deine liebe Mutter und deinen guten Vater nie wiedersehen?«
Sie weinte leiser.
»Ich bin«, sprach er, »vielleicht ein weltunerfahrener Mann. Aber ich bin ein sehr alter Mann und weiß eines, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Liebst du Gott, Rosemarie?«
Sie schwieg.
»Siehst du«, sagte er. »Es geht nicht um die Schliekers und um das Kneifen auch nicht und nicht um Haus und Hof – es geht um dich, meine Rosemarie. – Und nun zeige mir den Weg in das Haus, Rosemarie, und ehe wir auf den Hof kommen, kette den Hund an – ich habe Furcht vor Hunden.«
Und bezwungen von seiner Sanftheit, sagte sie leise: »So komm.«
Sie gingen den Zaun entlang, und bei der Zauntür nahm sie ihn bei der Hand und sagte: »Fürchte dich nicht, mein Bello soll dir nichts tun.«
3. KAPITEL
Worin Professor Kittguß einen Besuch macht, der im Kohlenstall endet
Der zottige Hofhund Bello hatte wirklich dem Professor nichts getan, sondern sich freundlich winselnd an Rosemarie gedrückt. Dann leitete den Paten die feste Hand seines Mädchens durch einen lichtlosen Raum, in dem es dumpf nach fauligen Kartoffeln und lau nach dem Spülstein roch, und nun stand er, plötzlich losgelassen, in einer häßlichen grünen, kleinen Küche, und der Rücken Rosemaries verschwand rasch durch eine Tür, hinter der Kindergeschrei laut wurde.
»Rosemarie!« rief er ihr nach.
»Marie, du Stromerin!« schalt eine herbe, böse Stimme vom Herdwinkel – und verstummte.
Die Frau drehte sich scharf nach dem Besucher um. Der Schein der Küchenlampe fiel ihr ins Gesicht. Es war blaß, mit großen braunen Augen, vorspringenden Backenknochen; es war noch jung, aber der Mund, wie ein scharfer, schmaler Strich, war alt und böse, fast ohne Lippen, und das Kinn vorgebogen und stark.
»He?!« fuhr die Frau mit ihrer harten Stimme den späten Besucher an und betrachtete ihn, ohne sich vom Fleck zu rühren.
»Gott zum Gruß!« antwortete der Professor und ging einen Schritt näher. »Ich bin der Professor Kittguß und …«
»Und«, setzte die Frau fort und überstürzte den armen Professor mit einem ganzen Schwall von bösen, schreienden Worten, »… und wenn Sie vom Amt kommen, so ist das keine Art, derart am späten Abend, und die Kinder zeige ich Ihnen heute nicht! Die Leute im Dorf mögen euch Briefe schreiben, soviel sie wollen, wegen Mißhandlung und schlechter Nahrung und keine Pflege, und ihr mögt mir jede Woche und jeden Tag und jede Stunde solch hochnasige Gemeindeschwester auf den Hals schicken, oder ihr mögt auch selber kommen, ihr großer Professor, ihr – ihr verdient euer Geld im Sitzen, wo ich mir um dreißig Mark im Monat für solch uneheliches Balg das Fleisch von den Händen mit den eingedreckten Windeln wasche! Aber heute zeige ich Ihnen die Kinder doch nicht, und wenn Sie da stehenbleiben bis Mitternacht, wo mir mein Mädchen auch noch weggelaufen ist und sich rumgetrieben hat. Der werde ich wieder einmal zeigen, wo das rechte Ende am Besen sitzt! Schlecht sind die Menschen alle, und darum möchten sie einen auch schlecht machen, und wenn Sie was wollen, so kommen Sie morgenfrüh um zehn, und da können Sie sich die ganze fünffache Sündenherrlichkeit frisch gewaschen und sauber angezogen betrachten dürfen – wenn sich nicht gerade wieder
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