Altes Herz geht auf die Reise - Roman
weggehen, Herr Professor«, fragte er, »so bald Sie mit ihr gesprochen haben?«
»Natürlich«, sagte der Professor milde. »Was sollte ich dann noch hier?«
»Und es wird nicht lange dauern?«
»Nein, nein«, beruhigte ihn der Professor. »Ich denke schon daran, daß die Rosemarie hier auch Pflichten hat.«
»Also meinethalben«, sagte Schlieker und ging aus der Tür. »Aber nicht länger als fünf Minuten.«
Nun war der Professor Kittguß allein im kalten Studierzimmer des toten Freundes und, wie er da in seiner Sofaecke saß, war ihm, halb verhungert, wie er war, recht erbärmlich zumute. Dann aber fiel sein Blick wieder auf die schmutzigen, verliederten Bücherregale, und sein Herz tat ihm wieder weh. Er stand, trotz der schmerzenden Glieder,noch einmal auf und trat an solch Regal und hob einen Band heraus. Er blätterte und las den Titel – und nun blätterte er noch hastiger, und jetzt stieg ihm das Blut zu Kopfe …
Als aber der Päule Schlieker mit der Rosemarie hinter sich eintrat, und die Frau Mali bildete den Nachtrab, da dachte der Professor nicht an Freundestochter und Auftrag und Erbteil, sondern nur an das Buch in seiner Hand, und flammend trat er dem Mann entgegen und fragte: »Und was ist dieses hier, Herr Schlieker?!«
»Ein Buch«, sagte der ganz verblüfft.
»Ja, ein Buch! Und warum ist es zerrissen, und warum fehlen Seiten?«
»Ach, die ollen Scharteken!« ließ sich Frau Mali wegwerfend vernehmen, »zu nichts sind sie nutze, und keiner mag einen Blick in das langweilige Zeug werfen. Wir haben versucht, den Kram zu verkaufen, aber keiner will ihn, nicht einmal der Herr Pastor in Kriwitz.«
»Und wissen Sie auch, was das für ein Buch ist!« rief der Professor Kittguß, und nun hatte einmal ihn der Zorngeist fest in der Hand. »Das sind des Schuhmachers Jakob Böhme ›hohe und tiefste Gründe von dem dreifachen Leben des Menschen‹!«
Er sah die beiden flammend an. »O weh!« rief er dann klagend. »Und es ist die Ausgabe von 1682, zu Amsterdam gedruckt mit einem Kupfer. Und der Kupfer fehlt, und Seiten fehlen auch, gut die Hälfte der Seiten fehlt!«
»Natürlich fehlt sie«, sagte Frau Mali frech. »Und es fehlt noch viel mehr. Was kümmern wir uns um den alten Dreck! Uns geht an, daß unsere Stube schnell warm wird, und wenn wir dazu Papier brauchen, so nehmen wir es, wo wir es finden. Und hier finden wir es ja«, schloß sie zufrieden, mit einem Blick über die Bücherbretter. »Und wir werden’s auch weiter finden.«
»Verbrannt! Der Jakob Böhme zum Feueranmachen verbrannt!« klagte der Professor. »Nicht, daß ich alles von ihm billigte, denn offenbar kommt er mit der Heiligen Schrift oft nicht überein, aber er hat doch auch wieder über die Maßen schöne Sachen!« Ein neuer Gedanke kam ihm. »Sie haben mir gesagt, Herr Schlieker, daß Sie gut nach dem weltlichen Erbteil unserer Rosemarie geschaut haben, und ich habe Ihnen darum versprochen, nicht dareinzureden. Aber Sie haben nicht die Wahrheit gesagt, Schätze haben Sie vertan und verbrannt – wissen Sie, daß Ihnen für dies Büchlein, wäre es noch heil, jeder Buchhändler in Berlin zwanzig, ja dreißig Mark bezahlt hätte!«
Jetzt aber hatte er sie! »Herr Professor«, sagte der Schlieker ganz betreten, »es kann nicht möglich sein …«
»Für solch verstaubten, brüchigen Dreck!« ließ sich Frau Mali ungläubig vernehmen.
Aber da hörte man eine spröde, helle, mutige Stimme: »Ja, Pate, und wie sie’s hier in diesem Zimmer getan haben, haben sie’s auch draußen gemacht. Kein Obstbaum, der nicht verliedert ist, kein Acker, der nicht verqueckt, kein Pferd, das nicht zum Verbrecher geprügelt ist. Oh, mein lieber Pate, und die armen, unehelichen Kinder, die sie in Pflege genommen haben …«
»Willst du stille sein, du Biest!« schrie Schlieker und faßte sie grob am Handgelenk.
»Du magst mir ruhig die Hand umdrehen, Päule«, sagte sie mutig und sah ihn groß an, »deswegen gibt deine Frau den Kindern doch bloß Magermilch …«
»Stille biste!« schrie nun auch die Mali und griff über den Mund des Kindes.
»Sie lassen das Mädchen los!« rief der Professor mit starker Stimme und stand groß, das Gesicht von einem gesunden Zorn gerötet, vor den beiden. »Nehmen auch Sie die Hand fort, Sie, Frau! Schämt ihr euch denn nicht, ihr beiden?!Wißt ihr denn nicht mehr, daß unser Herr Jesus gesagt hat: ›und was ihr diesen Kindlein tut, das tut ihr mir‹?! – Oh, mein Mädchen, mein Mädchen« rief er
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