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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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jammervoll. »Da stehst du vor mir, und ich sehe zum erstenmal im Licht dein liebes Gesicht, das du von deiner seligen Mutter hast. Ja, es ist wahr: wunderbare Zeiten habe ich deinem Vater geweissagt, die da kommen würden für dich. Als sei ich ein Prophet. Aber es ist gewesen wie eben, über dem Buch von Jakob Böhme habe ich dich vergessen, die du doch hier unter der Tür standest. So habe ich viele, viele Jahre vergessen, und nun bin ich ein alter Mann, der leicht müde wird, und ich weiß nichts von der Welt und kann dir wohl gar nichts mehr helfen. Ach, meine Rosemarie: wirst du mich überhaupt noch gebrauchen können –!«
    Sie stand da, und seltsam war sie anzuschauen in ihrer verschmuddelten, mißfarbigen Magdtracht mit den Holzpantoffeln an den Füßen. Aber auf den schmalen Schultern saß ein schöner, zierlicher Kopf mit einem sehr kleinen, blaßroten Mund. Das Haar war hellblond, und leise Strähnen davon hingen wie hineingeweht in die hohe weiße Stirn. Die Augenbrauen waren auch hoch und schmal, schöne, nachdenkliche Bögen.
    Aber das alles war es nicht. Es waren auch nicht die zartfarbenen, sanft gerundeten Wangen, sondern es war der ferne, wie wesenlose, wie unirdische Blick der Augen, die blaugrau waren, ein Blick, der durch die Dinge hindurch zu gehen schien, bis weit, weit hinter diese.
    Dieser Blick war es, der den alten Mann ergriffen hatte; von der Mutter, die in einer Märchen- und Wunderwelt gelebt hatte, war er auf die Tochter gekommen, die mit schlimmen Leuten hausen mußte. Vor diesem Blick war das Böse, das ihm von ihr erzählt worden war, lügenhaft geworden, denn die Kinder des andern Reichs, das nicht auf dieser Erde ist, erkennen einander wohl. Und flüchtigdachte der alte Mann an den Sendboten der Rosemarie, den armen, blonden Jungen, den Philipp: »Wenn der ihr freundlich und zu Diensten ist, so kann kein Falsch an ihr sein.«
    Er stand vor ihr und hatte die Hände wie um Verzeihung bittend an die Brust gehoben, und sie sagte nun mit ihrer spröden, hellen Stimme: »Es ist schon alles gut, Pate. Denn ich weiß, die wunderbaren Zeiten, die du mir versprochen hast und von denen ich immer geträumt habe, kommen nun. Und du hast recht: sie sollen nicht mit Lügen kommen.«
    So standen sie einen Augenblick einander gegenüber und es war still, denn auch die Schliekers rührten sich nicht, bis ein, zwei Stuben ab ein Kind jämmerlich zu weinen anfing. Da war die Stille zu Ende, und die Schliekern sagte mit ihrer harten, bösen Stimme: »Genug Theater, Marie; daß du die Leute behexen kannst, wenn du willst, das wissen wir, aber bei uns verfängt es nicht, und so scher dich an deine Arbeit, das Gör brüllt sich ja wohl rein zu Tode.«
    Die Rosemarie glitt ohne einen Laut aus dem Zimmer, und die Schliekern ging ihr nach.
    Nun waren die beiden wieder allein, der Häusler und der Professor Kittguß, und Schlieker sah nachdenklich auf den alten Mann, der plötzlich nur noch müde und sehr elend war.
    »Hören Sie, Professor«, sagte Schlieker mit einem Lachen, »ich sehe ja doch, so werde ich Sie nicht los. Da will ich Ihnen einen Raum zeigen, wo Sie sich ein bißchen hinlegen können, zum Erholen, und Sie werden sehen, daß, für wen ich sorge, ich gut sorge.«
    Und damit nahm er ohne weiteres die Lampe, gab dem Professor die Reisetasche in die Hand und dirigierte ihn mit »Rechts« und »Links«, hinter ihm drein leuchtend,durch einen Flur aus dem Haus, über einen Hof, zu einer kleinen Bude.
    Der Professor aber ging ganz gedankenlos und gleichgültig vor ihm her, und erst, als sein Wirt eine Tür in der Bude aufmachte und den Professor hineinnötigte, sagte er wie erwachend: »Aber wohin bringen Sie mich denn, Herr Schlieker?!«
    Doch da schlug schon die Tür hinter ihm zu, und ein Schloß rasselte, und Kittguß hörte rufen: »In den Kohlenstall!« Und hörte seinen Wirt lachen und lachen.
    Das Lachen entfernte sich, und Professor Kittguß stand allein im Kalten und Dunkeln.

4. KAPITEL
    Worin Professor Kittguß der einen Nacht entrinnt, doch in eine noch dunklere gerät
    Manch einer, männlich oder weiblich, hätte in der Lage von Professor Kittguß vielen Lärm gemacht, mit den Füßen gegen die Kohlenstalltür getrommelt, nach dem Schlieker geschrien oder geflucht oder geweint. Der Professor, der aus der Heiligen Schrift wußte, daß des Menschen Trachten böse von Jugend auf ist, der aber als rechter Jünger seines Herrn stets so gehandelt hatte, als sei es gut – der Professor

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