Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Boot losgeschickt hatte, um sie abzuholen und auf schnellstem Weg nach Shara zurückzubringen. Manchmal erlaubte sie sich sogar, sich auszumalen, wie in ebendiesem Moment ein Raspa mit Marrah und Stavan und allen Nattern an Bord in den Hafen von Shamban segelte. Obwohl es natürlich unmöglich war, sämtliche Nattern in einem oder zwei Booten unterzubringen, besonders da sie auch noch ihre Pferde mitnehmen müßten, wenn sie irgend etwas gegen Changars Krieger ausrichten wollten.
Doch statt eines Raspas, das die Nattern brachte, traf ein Verband von Nomadenkriegern vor den Toren von Shamban ein. Sie kamen eines Spätnachmittags, ungefähr eine Woche nachdem Luma zum ersten Mal ihren Beobachtungsposten auf dem Dach bezogen hatte, und da das Gästehaus in unmittelbarer Nähe des Haupttores stand, sah sie die Krieger fast zur gleichen Zeit wie die Shubhai-Wächter von Süden herankommen. Als die Wachtposten Alarm schlugen, wimmelten die Pfade der Stadt plötzlich von Menschen. Einige rannten, um ihre Waffen zu holen, während andere zu den Toren eilten, um zu sehen, ob man die Besucher einlassen würde. Oft kamen kleine Gruppen von Waldnomaden, um Tauschhandel zu betreiben, aber dies war ein Trupp von mindestens zwanzig Männern. Als Luma in aller Eile die Leiter hinunterkletterte, um Kandar zu wecken, konnte sie hören, wie die Leute Vermutungen darüber anstellten, ob die Fremden in feindlicher Absicht kamen oder nicht.
Bis Kandar wach war und sich angekleidet hatte, war die Menschenmenge innerhalb der Stadtmauern noch weiter angewachsen. Als Kandar und Luma wieder auf das Dach hinaufstiegen, sahen sie halb Shamban hinter dem Tor versammelt, das in der Zwischenzeit geschlossen und verbarrikadiert worden war. Die fremden Nomaden standen friedlich auf der anderen Seite. Sie waren abgesessen, was wahrscheinlich hieß, daß sie nicht die Absicht hatten, die Stadt anzugreifen, und sie trugen die Art von Staat, die Nomadenkrieger immer dann anlegten, wenn sie besonderen Eindruck machen wollten. Obwohl das Wetter ungewöhnlich warm war für die Jahreszeit, hatten sich einige der Männer in dicke Wolfspelze gehüllt, während andere Kronen aus Turmfalkenfedern trugen. Sie hatten ihre Arme und die Brust mit roten Sonnensymbolen bemalt, und ein paar hatten mit Ocker gestärktes Haar; aber die Bemalung schien in großer Hast vonstatten gegangen zu sein, und viele der Symbole waren verwischt und vom Schweiß verschmiert. Einer – ein kleiner Mann, dürr wie ein Storch – hielt einen langen, mit Kaninchenschwänzen verzierten Stock in der Hand, ein weiteres Zeichen dafür, daß sie in friedlicher Absicht kamen.
Als sie auf die in barschem Ton von der Mauer herunter gebrüllten Fragen der Shubhai-Wachtposten antworteten, stellte sich heraus, daß sie von zwei Häuptlingen angeführt wurden: einem pausbäckigen, jungen, wohlhabend aussehenden Mann namens Tanshan und einem mageren, einäugigen Alten, der sich Lrankhan nannte. Der einäugige Häuptling kam Luma irgendwie bekannt vor, aber es war sein Pferd, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie erkennen, daß der Wallach glasige Augen hatte und vor Erschöpfung taumelte. Schaum tropfte ihm aus dem Maul, und seine schweißnassen Flanken hoben und senkten sich, daß es ein mitleiderregender Anblick war.
»Dieser Idiot von einem Krieger hat sein Pferd halb zu Tode geritten!« sagte sie zu Kandar. »Und er ist nicht der einzige. Sieh dir die braune Stute dort drüben an. Sie sieht aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen! « Die Wachtposten hatten der wartenden Menschenmenge hinter dem hohen Tor den erbärmlichen Zustand der Pferde beschrieben, und unter den Shambanern und den Shubhai erhob sich empörtes Gemurmel. Ein Krieger ritt sein Pferd niemals derart hart, es sei denn, er mußte fliehen, um sein Leben zu retten, und diese Männer waren offensichtlich vor nichts und niemandem auf der Flucht.
Nach weiteren Fragen und einer langen Pause, während der man sich vermutlich mit der Königin von Shamban beriet, öffneten die Wächter schließlich die Tore, und die Besucher wurden in die Stadt eingelassen, allerdings ohne ihre Waffen. Als die Shubhai-Wachen die Fremden nach versteckten Waffen abtasteten, lachten diese und brüsteten sich mit der weiten Strecke, die sie gerade geritten waren. Luma hörte, wie sie erzählten, sie seien aus dem Süden heraufgekommen und hätten ihre Frauen und Kinder zurückgelassen. Kein Mann sei jemals
Weitere Kostenlose Bücher