Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
einzige Chance ist es, uns leise zum Stall zu schleichen und die Pferde zu nehmen. Henri wartet dort auf uns.“ Anne zitterte, nickte aber und Miraj nahm seine Hand wieder weg.
„Was hast du da eben von einem schwarzen Blitz gesagt?“ – „Ich … In meinem Traum liefen diese Männer umher und es brannte. Dann zuckte ein seltsamer schwarzer Blitz und Vater brach zusammen“, presste Anne hervor. Miraj erstarrte. „Komm!“, rief er und zückte sein Schwert. Wie ein Besessener hieb er mit seiner Waffe auf die Männer ein, die sich ihnen in den Weg stellten. Da es eine dunkle Nacht war und der Rauch alles vernebelte, konnten sie es vermeiden, zu früh gesehen zu werden. Dennoch fürchtete Anne um ihr Leben. Mirajs Angriffe waren nicht immer erfolgreich, da er für seine Schwerthiebe nicht stehenblieb und nur eine Hand frei hatte. Endlich kam der Stall in Sicht, aber Henri und ihren Vater konnte sie nirgendwo entdecken, ebenso wenig die Pferde, obgleich der Rauch hier weniger dicht war. Als sieben oder acht der schwarzen Gestalten gleichzeitig auf sie zukamen, schob Miraj sie rasch um die Ecke und drängte sie hinter einen Heuhaufen. „Versteck dich“, sagte er. „Henri wird gleich bei uns sein mit deinem Vater und den Pferden, dann reiten wir davon.“ Miraj wartete keine Antwort ab, sondern verschwand um die Ecke, wo er sich vermutlich den Gestalten entgegenwarf.
Anne saß nun nahe am Eingang zum Stall und spürte den beißenden Rauch. Nicht mehr lange und das Gebäude, in dem sie noch vor wenigen Stunden seelenruhig gelegen hatte, würde in sich zusammenstürzen. Wie konnte es sein, dass ihr Traum von eben Wirklichkeit geworden war? Überall um sie herum waren die unheimlichen Gestalten, die zwar menschenähnlich wirkten, sich aber beinahe lautlos bewegten. In panischer Angst stoben drei Kühe laut muhend an Anne vorbei. Ein aufgescheuchtes Huhn flatterte hinterdrein. Die Federn an seinem linken Flügel waren bereits angesengt. Anne bekam es mit der Angst zu tun. Wo blieben Henri und ihr Vater mit den Pferden?
Sie wandte den Kopf in die andere Richtung – und begriff, dass sie nun exakt dieselbe Sicht hatte wie noch eben in ihrem Traum. Eine schreckliche Ahnung befiel sie. Sie wollte schreien, Miraj und Henri herbeirufen, damit sie verhinderten, was nun geschehen musste, doch kein Laut kam aus ihrer Kehle. Dann kamen sie: die Gestalten, die ihren Vater vor sich hertrieben. Anne glaubte, sie würde in Ohnmacht fallen, als sie anhielten. Nun ging alles ganz schnell. Einer der Umhangträger murmelte unverständliche Worte, ein schwarzer Blitz war zu sehen, ihr Vater sackte zusammen, schlug auf dem Boden auf und blieb reglos liegen. Anne war so entsetzt, dass sie erneut zu zittern begann. Lautlose Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und als jemand sie von hinten packte, ließ sie sich widerstandslos mitziehen, unfähig den Kopf zu drehen und so ihr eigenes Schicksal abzuwenden.
Erst als sie vor Blizzard zu stehen kam, der nervös hin und her tänzelte, begriff sie, dass es ihr Bruder Henri war. Mit ausdrucksloser Miene stieg er in den Sattel, zog sie zu sich hoch und griff das Halfter von Animus, der neben Blizzard stand und die Nüstern in den Wind reckte. Im nächsten Moment kam Miraj um die Ecke gerannt, gefolgt von einer Reihe schwarzer Gestalten. Mit einem Satz sprang er auf Animus und ritt davon, Henri und Anne folgten ihm auf dem Huf. Anne blickte ängstlich zurück zu den schwarzen Männern, die bereits die Verfolgung aufnahmen. Sie hatten keine Pferde, doch wie Anne feststellte, waren sie zu Fuß beinahe so schnell wie sie selbst zu Pferde. „Sie werden uns einholen!“, rief Anne panisch. Henri blickte fragend zu Miraj. Dieser nickte und sagte zu Anne: „Halt dich an deinem Bruder fest.“ Anne tat wie ihr geheißen. Im nächsten Moment rief ihr Bruder mit lauter Stimme INVISIBEL und ein gelber Blitz schien sie alle zu treffen. Dann stellte Anne mit Erschrecken fest, dass das Pferd unter ihr, Miraj und Animus, Henri und sogar ihre eigenen Gliedmaßen verschwunden waren. Sie sah erneut zu ihren Verfolgern zurück. Diese waren stehengeblieben und blickten sich um. Allmählich wurde es hell. Die Pferde bewegten sich weiter fort – doch waren nicht nur sie, sondern auch ihre Spuren auf dem Weg, unsichtbar.
Kapitel 6: Gwynda
Die ersten drei Stunden nach dem Überfall der Gestalten ritten sie ohne Pause durch. Sie bewegten sich in südwestlicher Richtung, was Anne nur durch einen
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