Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
irgendwann gemeinsam zu sterben. So wurde Philemon im hohen Alter in eine Eiche, Baucis in eine Linde verwandelt.
In unserem Garten stehen zwei hohe Bäume. Eine
mächtige Buche und eine selten schöne, hohe Birke. Ob Buche oder Eiche, Birke oder Linde, unsere Bäume heißen Philemon und Baucis und sind unsere Lebensbäume. Wir sitzen oft Hand in Hand auf der Bank, reden über dies und das, dann und wann auch über den »Großen Abschied«, nicht weinerlich, nein, sachlich und realistisch über die wohl wichtigste Frage nach einem so langen, gemeinsamen Leben: Wer wird zuerst gehen, den anderen allein lassen? Wenn es uns nicht beschieden ist, zusammen Hand in Hand zu gehen, ob sich die Götter Jupiter und Merkur vielleicht nicht auch unser annehmen könnten?
Von der Strampelhose bis zum letzten Hemd
Irgendwann beginnt das Alter sich bemerkbar zu machen. Unüber-hörbar, unüber-sehbar, und unüber-spürbar. Die Sinne und der Bizeps verabschieden sich langsam, schleichend, aber unaufhaltsam. Die Hand wird müde, beginnt zu zittern, die Stimme wird brüchig. Abschied auf leisen Sohlen. Aber da kann man sich wenigstens mit Hörgerät, Brille und Pille noch halbwegs über die Runden bringen.
Hilflos stehst du jedoch da, wenn die Freunde gehen,
einer nach dem anderen, und du kannst sie nicht halten. Du hörst Worte des Abschieds, denkst an gemeinsam Erlebtes, Erlittenes. Man trägt Schwarz und entbietet schweigend das letzte Adieu.
Mit besonderer Aufmerksamkeit folge ich deshalb seit einigen Jahren dem Gebet, das am Schluss der Beerdigungszeremonie für den nächsten Sterbeaspiranten aus der versammelten Runde gesprochen wird. Danach gehst du mehr oder weniger freiwillig zur nachfolgenden »Schmerzverdrängungsparty«, auch Leichenschmaus genannt, machst gute Miene zum traurigen Spiel und eine dem Anlass entsprechend gequälte Konversation, die zunehmend heiterer wird und gelegentlich in einem fröhlichen Besäufnis endet. Dabei verblasst dann langsam das Bild des Dahingeschiedenen. Und das war’s dann auch.
Unsere Freunde Edith und Erich Glowatzki waren so ein Paar. Edith, Berliner Jüdin, geflohen vor den Nazis im Jahr 1933, so weit weg wie nur möglich, nach Sydney, Australien.
Erich, gebürtiger Sachse, im Jahr 1935 als Ingenieur auf einem deutschen Frachter. Bei der Einfahrt in den Hafen von Sydney erfuhr die Besatzung, dass das Schiff an eine australische Shipline verkauft sei. Den Offizieren bot man die Gelegenheit, weiter auf dem
Frachter Dienst zu tun, Voraussetzung sei die Mitgliedschaft bei der australischen Seemannsgewerkschaft. Erich Glowatzki wollte nicht und ging mit seiner angestauten Heuer von Bord.
In einem fremden Land, dessen Sprache er nicht sprach, fing er an, Klinken zu putzen, zottelte von Tür zu Tür, um seine Dienste als Installateur anzubieten, tropfende Wasserleitungen abzudichten, verstopfte Toiletten durchzupusten etc.
In irgendeinem Wonnemonat des Jahres 1936 trafen Erich und Edith aufeinander. Im Krankenhaus. Erich als Patient, Edith als Krankenschwester. Sie erfreuten sich herzerfrischender Konversationen auf Berlinisch und Sächsisch. Beide hatten das, was auf dem Fünften Kontinent immer ankommt: »A great sense of humour«. Schnell stellten beide fest, dass das Schicksal sie wohl nicht zufällig auf der anderen Seite der Erde zusammengeführt hatte. Da musste wohl mehr dahinterstecken. Sie heirateten und bastelten emsig an ihrer gemeinsamen Zukunft. Erich wurde erfolgreicher Stahlbauer, baute den berühmten, doppelstöckigen »Cahill Expressway« die Sydney Harbour Bridge hinauf, legte Pipelines, baute Brücken und Bohrtürme, wurde Multimillionär.
Erich und Edith Glowatzki sind tot. Ihr Leben wäre ein Buch wert. Und was für eins. Jetzt aber brauche
ich Erich und Edith als Beispiel für mein Buch über Lust und Last, Freud und Leid, Erfolg und Pleiten auf dem mühsamen Hindernisrennen von der Strampelhose bis zum letzten Hemd.
Über zwei Jahrzehnte haben wir an ihnen erlebt, wie man in Würde und mit Humor alt wird. Bei einem ihrer Besuche in München haben wir Edith und Erich ins »Tandris« eingeladen, Nobel-Restaurant des Drei-Sterne-Kochs Heinz Winkler. Zwischen Suppe und Hauptgang erwähnte Erich ganz nebenbei:
»Heut feiern wir beede unsern fünfundvierzigsten Hochzeitstag«, und lächelte seine schon etwas betagte »Braut« an.
Ich schickte einen Zettel zu Heinz Winkler in die Küche: »Lass dir zum Nachtisch was einfallen.« Er brachte eine schneeige
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