Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
Vieh getötet oder zu Sklaven erniedrigt haben. Die Aborigines, die Ureinwohner, die seit vierzigtausend Jahren in »Tribes« in allen Teilen des Fünften Kontinents leben. Haben die Einwanderer von den Aborigines gelernt, das Alter zu ehren?
Der »Tribe Leader«, der Stammesälteste, wird als letzte Instanz anerkannt, er ist die Summe der Lebenserfahrung des Stammes bis in die Vergangenheit. Die Erfahrungen der Alten werden weitergegeben, nicht in Büchern, sondern in Tausenden von Jahren alten Höhlenmalereien, in Geschichten, Gesängen und Tänzen, die davon berichten, was auf unserer Erde lebenserhaltend und was tödlich ist. Ich bin zutiefst beeindruckt von dem, was wir während unserer Dreharbeiten mit und über Aborigines gelernt haben. Auch dabei spielte das Alter, mindestens aber meine weißen Haare, eine Rolle.
Das Team war nach langem Flug mit einer gecharterten zweimotorigen Cessna am »Uluru« gelandet. Uluru nennen die Stammeszugehörigen ihren heiligen Berg. Touristen kennen den größten Monolithen auf Erden eher unter dem Namen »Ayers Rock«.
Am und um den Uluru herum haben die Aborigines nach ihrer Stammessitte heilige Stätten, »Sacred
Places«, errichtet, getrennt für Männer, Frauen und Kinder. Nur diese dürfen die heiligen Stätten betreten. Wie ein magischer Kreis umgibt eine Sperrzone den heiligen Berg. Schwierig für ein beliebtes Ziel von Touristen aus der ganzen Welt. Und noch schwieriger für neugierige Filmteams, die jedes Jahr hier einbrechen, um die mystischen Geheimnisse des Berges zu lüften und aller Welt zu zeigen. Wir waren nicht sonderlich willkommen. Ohne Zustimmung des »Tribe Leader« ging gar nichts.
Bei der ersten Besprechung mit den örtlichen Behörden, meist Weiße, saß er mir gegenüber und schwieg beharrlich. Ein außergewöhnlich gut aussehender Mann, stattliche Einsneunzig, sehr dunkle Haut, schneeweißes Haar. Sein Name: Tricker Derek.
Zu allem, was gesagt und verhandelt wurde, zeigte er nicht die geringste Reaktion, er saß da und hörte zu. Nur einmal betrachtete er aufmerksam, wie ich meine Tabakpfeife ausklopfte und eine Zigarette anzündete. Ich hatte eine Idee. Mein Sohn Thomas besorgte im Hotel »Sails in the Desert« ein paar Päckchen Zigaretten. Still legte er sie vor Tricker Derek auf den Tisch.
»Ich bin sicher, du verstehst jedes Wort«, sprach ich ihn an. »Das ist ein kleines Geschenk für deine Leute, egal, ob wir hier arbeiten dürfen oder nicht!«
Keine Antwort.
»Ich verstehe dich gut, du willst nicht, dass wir hier an eurem heiligen Berg drehen. Aber vielleicht können wir mit dem Film helfen, Touristen zu zeigen, was sie hier nicht tun sollen.«
Er hob seine Augen, sah mich an, blieb aber stumm.
Ich ließ uns beiden Zeit.
»Vielleicht hast du gehört, dass meine Leute ›Blacky‹ zu mir sagen. Das ist mein Spitzname!«
Hat er verstanden? War da ein Lächeln in seinen Augen?
»Derek, wir haben beide weißes Haar, da ist nur ein kleiner Unterschied zwischen uns: Du bist schwarz, ich bin weiß, ich bin also ein weißer Blacky und du ein schwarzer Whity!«
Tricker Derek sah mich lange an, legte seine Hände auf die vor ihm liegenden Zigarettenpäckchen und zog sie zu sich. Nur ein paar Zentimeter. Hatte er akzeptiert?
Er ließ sich Zeit, dann meinte er lächelnd, in perfektem Englisch: »Danke für das Geschenk. Morgen könnt ihr hier arbeiten. Ich zeige euch die heilige Stelle, wo unsere Vorfahren die Götter um Wasser gebeten haben, mit einem Lied, das ich für euch singen werde!«
Ich wusste von dem kleinen See, dem verborgenen
Wasserloch am Uluru, in dem das Wasser seit urdenklichen Zeiten nicht versickert, nicht verdampft unter der gnadenlos sengenden Sonne.
Dort treffen wir Derek am nächsten Morgen. Still beobachtet er unsere Arbeit, die Suche nach geeigneter Kameraposition, das Aufstellen weniger Scheinwerfer und Lichtblenden. Endlich ist es so weit.
»Wir sind so weit!«
Tricker Derek richtet sich auf, zu gebietender Größe, sieht über uns hinweg, wir sind nicht da. Langsam hebt er beide Arme, richtet die Hände gegen die oberste Kante des Monolithen und beginnt leise zu singen. Keine Melodie, nur ein lang gezogener, gleichbleibender Ton. Leise formen seine Lippen ein Wort, das sich anhört wie »KOKAKOKAKOKA«, es klingt wie ein Gebet. Nach einer kurzen Pause wieder:
»KOKAKOKAKOKA...« Seine Augen sind starr auf die obere Kante des heiligen Berges gerichtet, auf die Stelle, auf die auch seine ausgestreckten
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