Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
Köstlichkeit in Form einer kleinen Torte. Edith sah sie skeptisch an: »Wat is denn det?« »Ein Gruß aus der Küche, zu Ihrem Hochzeitstag«, sagte der Meister. Edith probierte, sah in die Runde und meinte: »Ick jlobe, der Winkler denkt, ick hab keene Zähne mehr!« Erich sah seine Frau an und meinte auf Sächsisch: »Wenn der wüsste, was de für Zähne hast un wie viel Haare da drauf sind!«
Das Leben meinte es unterschiedlich gut mit beiden.
Edith wurde zu einem Pflegefall, Erich blieb fit und betrieb nicht nur weiter seine Geschäfte, sondern trieb sich auch in der weiten Welt herum. Edith wurde eifersüchtig, warf ihm ständig seine ungebrochene Lebensfreude vor. Natürlich verletzte ihn das. Es gab Streit. Aber Erich sorgte mit allem, was ihm zur Verfügung stand, für die Frau, die ihn ein Leben lang durch dick und dünn begleitet hat. Zusehends schwanden ihre Kräfte, sie gab auf.
Nach qualvollen Leiden eigentlich eine Erlösung, für beide. Doch Ediths Tod beendete auch Erichs Lebensfreude. Er verkaufte sein Unternehmen und kam nach Deutschland zurück. Bei einem seiner letzten Besuche in unserem Haus fiel uns auf, dass er einen mitgebrachten, kleinen Koffer mit besonderer Aufmerksamkeit behandelte. Nur ungern stellte er ihn in der Garderobe ab.
»Was ist denn so ungeheuer Wichtiges drin?«, wollten wir wissen.
»Die Edith«, sagte er und begann zu weinen.
»Ich war oft alleene, aber de Edith war noch da! Jetzt, wo se weg is, bin ich alt un hab ooch bald keene Lust mehr!«
Er hob den kleinen Koffer.
»Ich hab für uns beide ein letztes Grundstück gekauft. Dort soll se hin - helft ihr mir?«
Das letzte Grundstück war ein Doppelgrab auf einem kleinen, wunderschönen Friedhof in Fraureuth, einer fünftausend Seelengemeinde in seiner sächsischen Heimat. Dort legten wir Ediths Urne zur letzten Ruhe.
Seiner Heimatgemeinde hinterließ Erich Glowatzki den wesentlichen Teil seines Vermögens, gründete eine Stiftung für Studenten, baute eine bemerkenswerte Mehrzweckhalle und empfing im hohen Alter mit Stolz den Sächsischen Verdienstorden.
»Wenn ich dran bin«, sagte er an einem Abend zu Gundel und mir, »denn macht mit mir das Gleiche wie mit Edith - versprochen?«
Wir haben das Versprechen gehalten. Danke, Edith und Erich.
Ich erinnere mich. Erich hatte natürlich einen Chauffeur, war aber mächtig stolz, dass er seinen dicken Mercedes selbst durch den Verkehr der Viermillionenstadt Sydney bugsierte. Am liebsten ins Hilton Hotel, mitten in der City.
»Da kann ich direkt vor die Tür fahren, alles andere machen die dann. Außerdem ham se dort die besten Steaks in der Stadt und ich sitz immer am gleichen Tisch.«
»Warum lässt du dich denn nicht hinfahren?«
»Nee, das macht keinen Spaß. Und außerdem, in Sydney gibt’s nicht mehr viele, die mit fünfundachtzig noch fahren dürfen. Grade hab ich die Prüfung gemacht!«
»Was für eine Prüfung?«
»Na - Sehen, Hören, Reaktion und so...! Ab siebzig. Alle zwei Jahre. Und ab achtzig jedes Jahr! Da musste dann och fahren. Man könnte ja zu alt werden für’s Auto! Nicht so wie in Deutschland, da haste den Schein für’s ganze Leben.«
Andere Länder, andere Gesetze.
Wie recht er hatte. Ich hab’s am eigenen Steuer erfahren.
Ein Streifenwagen der Polizei am linken Straßenrand. Kurz vor der Einfahrt zu unserem Haus in Hobart, Tasmanien. Der Polizist bemerkt, wie ich im Vorbeifahren den Sicherheitsgurt löse. Er folgt mir, den langen Weg hinunter zu unserem Haus am »Nutgrove Beach«.
Ich fahre in die offene Garage, der Streifenwagen setzt sich dicht hinter mich. Stoßstange an Stoßstange, das machen die dort so, wegen Fluchtgefahr! Wir steigen aus, stehen uns gegenüber. Der Officer beginnt die Unterhaltung: »Du weißt, was du gemacht hast?«
»Nein!«
»Du hast deinen Sicherheitsgurt während der Fahrt abgemacht!«
»Erst als ich auf mein Grundstück fuhr!«
»Nein, schon vorher!«
»Kann sein, vielleicht ein paar Meter!«
»Bitte deinen Führerschein!«
Er konzentriert sich auf meinen internationalen Führerschein.
»Wo ist deine Originallizenz?«
Ich reiche ihm meinen deutschen Führerschein aus dem Jahr 1946. Der sieht entsprechend aus. Der Officer hält ihn zwischen zwei Fingern, schüttelt den Kopf.
»Was ist das?«
»Mein deutscher Führerschein!«
»Wie lang ist der gültig?«
»Auf Lebenszeit!«
»Wie alt bist du?«
»Fünfundsiebzig.«
Er überlegt.
»Kann ich deinen Pass sehen?«
»Den hab ich im
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