Alvion - Vorzeichen (German Edition)
der velischen Götter her. Sie zerrissen sie zu tausenden, trampelten durch ihre Städte und zerstörten sie, sodass kein Stein auf dem anderen blieb, und sie jagten und mordeten die Überlebenden gnadenlos.
Als die Göttin Lynia dies sah, bemächtigte sich ihrer gewaltiges Entsetzen und endloser Schmerz, denn sie liebte jedes einzelne ihrer Kinder und litt deren Qualen, wenn sie grausam getötet wurden. Doch war es fast zu spät und sie konnte nur noch wenige von ihnen in Sicherheit bringen, ehe sie sich wutentbrannt an ihre nicht minder entsetzten Geschwister wandte.
„ Wer von euch hat diese Bestien erschaffen, die meine Kinder niedermetzeln und ihr Blut in Strömen fließen lassen?“, fragte sie mit anklagender Donnerstimme, doch nacheinander verneinten An’maa, Talatas, Chesis und Zamea und gingen stattdessen daran, es Lynia gleich zu tun und wenigstens einige ihrer Kinder zu retten. So blind waren sie in ihrer Panik, dass sie nichts unternahmen, um den schrecklichen Bestien, die im Tierreich Velias nicht weniger grausam wüteten, Einhalt zu gebieten, und Lynia erkannte, dass es ganz allein an ihr lag.
Wie es einst ihr Vater getan hatte, begab sich die Göttin nun an die Küste des Meeres und machte sich daran, die Elemente miteinander zu verbinden und schuf auf diese Weise einige Dutzend Abbilder von sich selbst. Sie beseelte sie mit der Essenz ihres Seins, bis sie spürte, dass es sie zu viel Kraft kosten würde, weitere zu erschaffen. Und sie sandte ihre Ebenbilder als Lockmittel in alle Winkel Velias, sie selbst aber blieb an jenem Strand und starrte Tag um Tag geduldig auf die wogende Brandung.
Wie es die Göttin beabsichtigt hatte, fiel nach und nach jedes ihrer Ebenbilder, das nur zu diesem Zwecke erschaffen worden war, in die Hände der grausamen Bestien, die sie zerrissen und fraßen. Doch sie nahmen nicht Nahrung auf, sondern die Essenz der Göttin und bald gab es tausend und mehr jener Kreaturen, die von Grauen über ihr eigenes Tun und schlimmster Reue geplagt wurden. Augenblicklich begaben sie sich auf die Suche nach Lynia, die noch immer an jenem Fleckchen an der Küste ausharrte, und warfen sich vor ihr zu Boden, um ihre Vergebung zu erlangen. Doch die Göttin blieb hart und schickte sie fort. Tag um Tag kehrten sie zurück, warfen sich wieder und wieder vor Lynia zu Boden und flehten sie um Vergebung an und schließlich sprach die Göttin zu ihnen.
„ Hört!“, rief sie mit gewaltiger Stimme und die riesigen Wesen erzitterten. „Ihr habt großes Unrecht getan und nur einen Weg gibt es für euch, dass Vergebung überhaupt möglich wird: Viele eurer Art durchstreifen immer noch diese Welt und gieren nach dem Blut meiner Geschöpfe und denen meiner Geschwister. So trage ich euch auf, diese Welt von ihnen zu säubern! Erst, wenn ihr dies erfüllt habt, mögt ihr wieder hierher kommen und ich werde vielleicht in Betracht ziehen, euch eure Untaten zu vergeben!“
Und sie erhoben sich und begannen mit Eifer, den Auftrag der Göttin zu erfüllen!
Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert durchkämmten sie Velia bis in die entlegensten Winkel und töten jeden ihrer Art, dessen sie angesichtig wurden, bis sie schließlich ihren Auftrag erfüllt hatten. Da vergab Lynia ihnen schließlich und nahm sie als ihre Kinder an.
Es dauerte nicht lange, bis die velischen Götter ihre wenigen überlebenden Kinder um sich geschart hatten, um scheinbar frei von Gefahr einen Neuanfang zu machen, doch da stieg Nisistrus, außer sich vor Zorn, auf Velias Antlitz herab und schickte sich an, seine Macht gegen die Kinder Velias zu richten. Er hatte die Gestalt eines Giganten gewählt, so groß und mächtig, dass seine Schultern bis in die Wolken hinauf ragten. Und Velias Kinder erzitterten, weil sie wussten, dass sie ihm nichts entgegenzusetzen hatten.
„ Diese Welt gehört mir!“, brüllte er mit so gewaltiger Stimme, dass die Berge Velias darunter erzitterten, und er hob seine Arme, um Velias Kinder zu vernichten. Da erklang eine ebenso gewaltige Stimme.
„ Halt ein, Bruder!“, und ebenso gewaltig wie Nisistrus ragte auf einmal Ennos über den Kindern Velias auf. „Genügend eigene Welten sind dein, diese hier aber sollst du nicht besitzen!“
„ Sie ist mein!“, heulte Nisistrus noch einmal voller Zorn.
„ Nein!“ wiederholte Ennos noch einmal und eine schreckliche Endgültigkeit lag darin.
Einen Moment lang funkelte Nisistrus seinen verhassten Bruder wütend an, dann
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