Alvion - Vorzeichen (German Edition)
zwischen Ennos und Nisistrus. So war um des Friedens willen beschlossen worden, dass es auch Lynia, An’maa, Chesis, Talatas und Zamea nicht länger erlaubt war, fortwährend bei ihren Kindern zu bleiben. Schweren Herzens fügten sie sich.
Fortan fehlten ihren Kindern Führung und Anleitung, und so zogen sich die Argion in die ausgedehnten Wälder jener Länder zurück, die bis heute ihre Heimat sind. Die Zal blieben in ihrer nördlichen Heimat, wo beide Völker in primitiver Abgeschiedenheit dahinvegetierten. Die Sonae dagegen existierten bereits nur noch in der Erinnerung ihrer Nachfahren, denn nach ihrem Erwachen fanden sie sich als einziges Volk, getrennt von den anderen, durch das ’Sapor’ genannte Meer auf dem östlichen Teil des gespaltenen Kontinents wieder. Ein Teil von ihnen machte sich auf, in den warmen Regionen des Südens zu leben, während der andere Teil in den hohen Norden zog. Bei beiden setzte sich schließlich die für jene Regionen geeignetere Gestalt durch und so veränderten sie sich allmählich, trotzdem sie ihre angestammten Lebensgewohnheiten beibehielten. So lebten die Skonen, in denen der Wolf zum dominanten Teil ihrer Erscheinung geworden war, in kleinen Stammesverbänden im hohen Norden, während die Tar, in denen sich der Löwe durchgesetzt hatte, im Süden blieben. Doch auch bei ihnen fand keine bemerkenswerte Entwicklung mehr statt, als Chesis nicht länger bei ihnen weilte.
Die Lynen aber, bei denen der Verstand schon zu weit entwickelt war, begannen jene Länder, die man heute ’Solien’ nennt, zu kultivieren. Sie bauten wieder Städte und Straßen, sie führten das Volk der Menschen an der Hand, ebenso wie jene Kreaturen, die sich einst ihrer Göttin unterworfen hatten. Jedoch sollte kein Zweifel daran aufkommen, dass auch die Lynen große Schwierigkeiten mit der neuen Lage hatten. Früher hatte es immer Rat und Anleitung der Göttin gegeben, deren Liebe, aber auch Strenge stets dafür gesorgt hatte, dass sie bescheiden blieben. Da nun Lynias mäßigender Einfluss verschwunden war, wurde ihr Volk hochmütig und sah sich wie selbstverständlich als die Krone der Schöpfung und über alle anderen erhaben an. Darum begannen sie schließlich, auch in jene Teile Velias vorzudringen, wo die Argion und die Zal lebten, und Gruppen von ihnen gingen auch über das Meer, um die Sonae wieder zu finden und sich dienstbar zu machen. So kam es, dass die Lynen alle anderen Völker an der Hand nahmen und weiterführten, zumeist waren sie leider keine guten Herren, denn sie behandelten sie wie Untertanen oder Kinder und ließen sie vielfach nur Arbeiten ausführen, die sie für sich selbst als unter ihrer Würde betrachteten.
Schließlich aber kam es, wie es fast kommen musste, denn so groß Wissen und Magie der Lynen waren, so groß die Wunder, die sie damit wirkten, fehlte es ihnen an Reife, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen. Entzweit über bestimmte Dinge, die längst im Nebel der Geschichte vergessen sind, begannen die Lynen des Nordens und des Südens einander zu bekriegen, und jene aus dem Osten kehrten zurück, um sich der einen oder anderen Seite anzuschließen.
Jahrzehntelang währte der lynische Krieg und legte eine Stadt nach der anderen in Schutt und Asche, kostete abertausende von Menschen und Zal und Argion und Tar und Skonen das Leben, denn sie waren es, die als Hilfstruppen ihrer ’Lehrer’ – wie sich die Lynen in ihrem Hochmut nannten – abgeschlachtet wurden. Aber auch die Lynen bluteten allmählich aus, ihre Kultur lag darnieder wie ihre Städte, die anderen Völker hatten sich längst geschlossen abgewendet und entsetzt die Flucht vor dem lynischen Hass ergriffen. So mörderisch war der Bruderkrieg, dass Talatas schließlich eingriff, nicht so sehr aus Sorge um die Lynen, sondern aus Sorge um seine eigenen Kinder. Trotz des Verbotes kehrte er zurück nach Velia und rief die eine Gruppe der Lynen zu sich, auf dass sie ihm folgten. Da sie schließlich erkannten, dass sie kurz davor waren, sich gänzlich selbst zu vernichten, folgten sie seinem Ruf.
Nun aber erschien die gramgebeugte Lynia, die zu lange das Verbot des Ennos geachtet hatte und stellte sich ihm in den Weg.
„ Es ist nicht recht, was du tust, Bruder“, sagte sie anklagend. „Ich danke dir für deine Hilfe, doch dies sind meine Kinder und mir obliegt es, dem ein Ende zu machen!“
Talatas, der seine Schwester liebte und ihren Kummer achtete, machte ihr Platz, da trat einer
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