Alzheimer und Demenzen
inhaltlich zu vervollständigen. Das schnelle geistige Vervollständigen von unvollständigen Sätzen ist für gesunde Menschen eine Selbstverständlichkeit, die meist ganz unbewusst und problemlos vollzogen wird. Deshalb werden in der Alltagssprache auch so häufig unvollständige Sätze verwendet. Doch für Demenzkranke stellen solche Aussagen oft ein großes Verstehens-Hindernis dar.
»Was soll mit meinem Hals denn sein?«
Ich unterhalte mich mit meinem kranken Familienmitglied darüber, dass es heute wohl sehr kalt ist und wir uns deshalb bei unserem geplanten Spaziergang warm anziehen sollten. Als der Kranke sich nun seinen Mantel anzieht und das Haus verlassen will, frage ich ihn: »Und was ist mit deinem Hals?« Darauf dreht sich der Kranke abrupt um, sieht mich verständnislos an und fragt: »Was soll mit meinem Hals denn sein?« Wodurch kam dieses Unverständnis zustande? Bei meiner Frage »und was ist mit deinem Hals?« handelt es sich um eine typisch unvollständige Äußerung, denn eigentlich hätte ich vollständigerweise sagen müssen: »Weil es heute sehr kalt ist, denke ich, dass es dir ohne Schal um den Hals zu kalt sein wird. Wäre es nicht besser, Du würdest einen Schal anziehen?«
So »umständlich« rede ich aber deshalb nicht, weil ich ja davon ausgehe, dass der andere noch weiß, dass wir erst vor ein paar Minuten über das kalte Wetter und die Notwendigkeit der warmen Kleidung gesprochen haben und daher meine verkürzte Frage auf diese Unterhaltung beziehen kann und deshalb versteht, was ich meine.
Dabei habe ich aber seine Gedächtnisprobleme nicht bedacht: Denn er hat unsere vorherige Unterhaltung bereits wieder vergessen, weiß also nicht mehr, dass wir verabredet haben, uns warm anzuziehen und versteht daher auch meine unvollständige Frage nicht als Hinweis darauf, einen Schal um seinen Hals zu legen.
Fehlende Satzaussage
Unvollständig wirken für manchen Demenzkranken auch solche Sätze, in denen die Satzaussage nur einmal geäußert wird, obwohl sie auch für die folgenden Teilsätze gilt. Wieder soll ein Beispiel dies erläutern:
Ich spreche mit meinem demenzkranken Familienmitglied über die Geburtstage, die in den nächsten Monaten in unserem Freundeskreis gefeiert werden. Und so halte ich fest: »Martin hat am 14. Januar Geburtstag, Lisa am 3. Februar und Barbara am 12. März«. Darauf sieht der Kranke mich verdutzt an und fragt: »Was macht Barbara am 12. März?« Wie kam es zu diesem Verständigungsproblem?
Ich habe nur in dem Teilsatz, in dem ich über Martin sprach, die Satzaussage »hat Geburtstag« wörtlich ausgesprochen. Bei meiner restlichen Aussage, in der es um Lisa und Barbara ging, habe ich »hat Geburtstag« nicht mehr wörtlich ausgesprochen, sondern nur mitgedacht. So ein Sprachverhalten ist ganz üblich: Man wiederholt Worte, die zu Anfang des Satzes bereits gesprochen wurden und auch für spätere Satzteile gelten sollen, nicht ständig aufs Neue, weil man davon ausgeht, dass der Hörer sich diese Worte merken kann und sie nicht mehrmals hören muss.
Doch wenn mein Gesprächspartner ein Gedächtnisproblem hat, wie im Falle meines demenzkranken Familienmitglieds, dann sind diese Verstehensvoraussetzungen nicht erfüllt: Der Kranke hat die Satzaussage »hat Geburtstag« schon wieder vergessen und weiß daher nicht, was am 12. März mit Barbara los ist. Sprachgesunde Menschen machen also in ihren alltagssprachlichen Unterhaltungen sehr viele unbewusste Vorannahmen und können so fehlende Spracheinheiten einfach »mitdenken«. Sie füllen Lücken unbewusstund automatisch auf. Zu diesen geistigen Ergänzungsleistungen sind Demenzkranke aber nicht mehr in der Lage.
Verwirrende Pronomen
Genauso schwierig kann für einen Demenzkranken das Verstehen von Sätzen sein, die mit einem Pronomen anfangen. Der lateinische Begriff Pronomen heißt »anstelle eines Namenwortes«. Das Wörtchen »er« ist z. B. ein Pronomen. Ein Satz, der mit einem solchen Pronomen beginnt, kann bei einem Demenzkranken zu Verstehensproblemen führen, weil der Kranke nicht weiß, welche Person mit »er« genau bezeichnet wird.
»Wer soll welchen Teig kneten?«
Ich unterhalte mich mit meinem demenzkranken Familienmitglied über den Nachbarsjungen Peter: »Heute morgen habe ich den kleinen Peter im Treppenhaus getroffen. Er hat mir erzählt, dass er gestern mit seiner Oma Kuchen gebacken hat und nun möchte er Bäcker werden. Es würde ihm auch nichts ausmachen, morgens so früh aufstehen zu
Weitere Kostenlose Bücher