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Alzheimer und Demenzen

Alzheimer und Demenzen

Titel: Alzheimer und Demenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prof. Dr. Sabine Engel
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(MDK) vor, um zu begutachten, ob der Kranke wirklich ausreichend pflegebedürftig ist. Die Mitarbeiterin des MDK fragt den Kranken nun vielleicht, ob er sich denn alleine waschen und anziehen, sich eine warme Mahlzeit bereiten, alleine einen Arzt aufsuchen und selbstständig die Wohnung sauber halten könne. Und obwohl er fast alle diese Fragen eindeutig mit »nein« beantworten müsste, weil er bei nahezu allen Verrichtungen zumindest meine Anleitungen braucht, sagt er: »Ja, natürlich! Was denken Sie denn! Natürlich kann ich das noch alles alleine!« Wenn ich mich nun darüber ärgere, dass er wieder einmal seine Probleme und Beeinträchtigungen nicht einsieht und mich auf eine Diskussion mit ihm einlasse, in der ich ihm seine Störungen und seine Hilflosigkeit vor Augen führe, kommt es vielleicht zu einer Eskalation: Der Kranke fühlt sich gedemütigt, wird wütend und aggressiv, beschuldigt mich, ihn zu denunzieren – und ich verliere nun ebenfalls die Nerven, schimpfe und sage wahrscheinlich Dinge, die mir hinterher wieder leid tun!
    MDK um Gespräch bitten.
    Wie könnte die Situation also besser verlaufen? Wenn ich die Krankheitssymptome des Kranken als unabänderliche Tatsache akzeptieren kann – auch seine fehlende Einsichts- und Reflexionsfähigkeit –, könnte ich mich in der geschilderten Situation anders verhalten: Ich könnte die MDK-Mitarbeiterin bitten, sich anschließend noch ein paar Minuten Zeit zu nehmen, in der ich mit ihr alleine sprechen möchte. In dieser Zeit könnte ich die Behauptungen des Kranken richtigstellen, ihr ein Schreiben des Arztes überreichen, in welchem bestätigt wird, dass er an einer Demenzerkrankung leidet, und ihr – vielleicht auch mithilfe eigener Tagebuchaufzeichnungen – aufzeigen, wie viel Zeit ich für die Hilfe und Unterstützung des Kranken mittlerweile täglich aufbringen muss (auf →  S. 182 wird das Thema der Pflegeeinstufung noch einmal genauer behandelt.) Dann wäre es nämlich gar nicht nötig, den Kranken zu verbessern, ihm zu widersprechen und an seine Einsichtsfähigkeit zu appellieren!
    Für mich ist es äußerst belastend, dass mein demenzkrankes Familienmitglied nicht einsieht, dass ihm vieles nicht mehr gelingt. Und weil er es nicht einsieht, kann er auch nicht darüber sprechen. Manchmal denke ich vielleicht, dass all seine Probleme und Beeinträchtigungen für mich gar nicht so schlimm wären, wenn er sie selbst einsehen, sie zugeben und darüber reden könnte! Aber im Laufe der Erkrankung verstehe ich besser, dass ich auch seine eingeschränkte Einsichtsfähigkeit als unabänderliches, unabwendbares Krankheitssymptom annehmen lernen und akzeptieren muss. Und dass es kaum Sinn hat, mit dem Kranken über seine Störungen zu reden, sondern dass ich neue Wege gehen muss, um mit seiner fehlenden Einsichtsfähigkeit leben zu können (→  S. 90 ff.).
Argumentieren bringt nichts
    Doch da es für mich ein großer Lernprozess ist, diese Verhaltensweisen des Kranken als unabänderliche Tatsachen zu akzeptieren, gelingt mir das natürlich nicht immer. Und so wird es immer wieder zu Situationen kommen, in denen ich aufgrund der eingeschränkten Einsicht des Kranken ärgerlich werde und mich auf unerquickliche Diskussionen und Streitgespräche einlasse. Aber im Laufe der Zeit wird es mir immer leichter fallen, solchen unguten Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, weil ich jedes Mal merken werde, dass es uns beiden – dem Kranken und auch mir! – viel besser geht, wenn es mir gelingt, seine eingeschränkte Einsichtsfähigkeit zu akzeptieren.
Er versteht keinen Spaß mehr
    Als Angehörige erlebe ich es möglicherweise auch, dass mein demenzkrankes Familienmitglied seinen Humor verliert. Einerseits kann es daran liegen, dass der Kranke eine depressive Störung hat, und es ihm deshalb einfach nicht mehr zum Lachen zumute ist.
    Andererseits kann es sich bei dem Verlust an Humor auch um ein geistig-sprachliches Problem handeln: So gibt es ja eine Art von Scherzen, in der man genau das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Doch Demenzkranke können diesen verdrehten Sinn von Ironie oder Sarkasmus häufig nicht mehr entschlüsseln und reagieren dann eher verständnislos als amüsiert (siehe Kasten).
    »Mein Witz kommt nicht an«
    Als Angehörige, die ich leidenschaftlich gerne Süßigkeiten, Kuchen und Torten esse, möchte ich mein demenzkrankes Familienmitglied erheitern und zum Schmunzelnbringen und deshalb sage ich augenzwinkernd: »Du weißt ja,

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