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Alzheimer und Demenzen

Alzheimer und Demenzen

Titel: Alzheimer und Demenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prof. Dr. Sabine Engel
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müssen. Denn es habe ihm so großen Spaß gemacht, den Teig zu kneten.« Ganz durcheinander fragt mich der Kranke jetzt: »Wer soll welchen Teig kneten?«
    Warum hat mich der Kranke nicht verstanden? Ich habe ganz zu Beginn meiner Erzählung erklärt, dass ich etwas über Peter, den Nachbarsjungen, berichten möchte. Und dann formuliere ich viele Sätze, in denen immer wieder »er«, »seiner«, »ihm« vorkommt. Damit mein Zuhörer wirklich verstehen kann, was ich meine, muss er sich bis zum Ende meiner Erzählung – also möglicherweise einige Minuten lang – merken, dass ich mit »er«, »seiner«, »ihm« Peter meine. Aber der Betroffene hat aufgrund seiner Gedächtnisprobleme wieder vergessen, wen ich zu Beginn meiner Ausführungen genannt habe und somit verliert die ganze Erzählung für ihn den Sinn.
    Diese zuletzt geschilderten Sprachprobleme sind also auf Gedächtnisstörungen zurückzuführen. Dies gilt auch für die folgenden Störungen, doch wirken sich diese weniger auf die Sprachfähigkeit des Betroffenen aus, sondern zeigen sich vielmehr als auffälliges Kommunikationsverhalten.
Warum Betroffene häufig von früher erzählen
    Viele Auffälligkeiten im Kommunikationsverhalten demenzkranker Menschen werden durch Gedächtnisbeeinträchtigungen verursacht. Sie erinnern sich nicht mehr, was vor zwei Minuten geschah und leben in alten Erinnerungen.
    Es kann für mich sehr belastend sein, wenn mein krankes Familienmitglied mir vielfach kurz hintereinander dieselbe Frage stellt oder mir wiederholt dieselbe Geschichte erzählt. Dann frage ich mich vielleicht, warum er dies tut! Die Ursache liegt wiederum in Gedächtnisstörungen begründet. Denn wenn ein Demenzkranker immer wieder dieselbe Frage stellt, dann deshalb, weil er zum einen nicht mehr weiß, dass er die Frage schon gestellt hat und zum anderen die Antwort, die ichihm gegeben habe, gleich vergessen hat. Damit ist sein Bedürfnis nach der erfragten Information noch nicht befriedigt – und er stellt die entsprechende Frage erneut.
    Es könnte aber auch sein, dass die Antwort, die ich ihm gegeben habe, sein eigentliches »tieferes« Bedürfnis nicht wirklich befriedigt (siehe Beispiel auf →  S. 68 ).
    Grundsätzlich neigen viele Demenzkranke dazu, nur noch in der Vergangenheit zu leben und nur über längst Vergangenes zu sprechen, nicht nur über die besonders erfolgreichen und guten Zeiten, sondern auch über unangenehme und unerfreuliche Erlebnisse. Natürlich kann auch hinter dem Festhalten an traurigen, angstbesetzten oder schwierigen Erinnerungen ein »tieferes« Bedürfnis liegen – möglicherweise das Bedürfnis, diese belastenden Erlebnisse so aufarbeiten zu können, dass sie endlich losgelassen und vergessen werden. Inwieweit ich als Angehörige auf dieses Bedürfnis des Kranken mithilfe einfühlsamer Kommunikation reagieren kann, wird auf →  S. 90 ff. thematisiert.
Nur die Vergangenheit ist noch »präsent«
    Doch die Tendenz des Kranken, immer wieder über die Vergangenheit zu sprechen, steht auch mit seinen Kurzzeitgedächtnisstörungen im Zusammenhang. Denn wenn das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt ist, kann sich der Betroffene aktuelle Geschehnisse kaum mehr merken. Das heißt, dass er von Erlebnissen, die er gestern und vorgestern hatte, heute nichts mehr weiß, sich aber an Erlebnisse von vor 20 Jahren noch gut erinnern kann. Wenn er nun sein Bedürfnis nach Kontakt, Austausch und Verständigung befriedigen möchte, bleibt ihm also gar nichts anderes übrig, als von Dingen zu sprechen, die er noch weiß, also von der Vergangenheit.
    »Weißt du noch …«
    Mein kranker Familienangehöriger stellt mir heute schon zum wiederholten Male dieselbe Frage: »Weißt Du noch, in welchem Jahr ich die große Auszeichnung für meine Verdienste vom Stadtrat erhalten habe?« Bislang habe ich immer wieder gleichermaßen darauf beantwortet: »Ja, das war 1979!« Doch es dauert gar nicht lange und da fragt er mich erneut: »Weißt Du noch, in welchem Jahr …« Ich spüre schon Ärger in mir wachsen, meine Antwort fällt zunehmend ungeduldiger und gereizter aus. Doch das hilft alles nichts! Schon wieder wendet er sich an mich: »Weißt Du noch, in welchem Jahr …« Aber jetzt kommt mir eine Idee: Vielleicht geht es ihm gar nicht um irgendeine Jahreszahl, sondern vielleicht möchte er sich gerne an dieses große Erlebnis erinnern, in dem er gelobt und gewürdigt wurde, und vielleicht braucht er die Erinnerung an diese glanzvolle Zeit in

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