Alzheimer und Demenzen
seinem Leben gerade jetzt besonders, da ihm so vieles nicht mehr gelingt und sein Selbstwertgefühl oftmals schwer beschädigt zu sein scheint.
Also probiere ich einmal eine andere Antwort: »Ja«, sage ich, »ich erinnere mich genau daran. Das war 1979! Wir sind alle in die Stadtratssitzung gegangen, es war eine ganz feierliche Atmosphäre und wir waren so stolz auf Dich! Und ich bin immer noch stolz auf Dich und deine Leistungen! Lass’ uns nachsehen – vielleicht gibt es noch Fotos von diesem Tag!«
Natürlich bin ich nicht immer in der Stimmung oder in der Lage, so einfühlsam auf den Kranken einzugehen. Und es gibt auch keine Gewähr dafür, dass meine »neue« Reak tion wirklich dazu führt, dass der Kranke von seiner Frage ablässt – doch eines werde ich mit meiner Verhaltensänderung wahrscheinlich bewirken: Die Atmosphäre zwischen uns entspannt sich und unser Kontakt wird wieder ruhiger und weniger aggressiv. Diese Form der einfühlsamen Kommunikation wird in Kapitel 15 noch ausführlich behandelt.
Der Austausch über Bekanntes verleiht dem Kranken außerdem Sicherheit. Denn während er sich bei jüngeren Ereignissen nicht mehr sicher sein kann, ob sie wirklich so stimmen, wie er sie in Erinnerung hat, ist er sich seines Wissens um lange zurückliegende Ereignisse noch gewiss. Und schließlich stammen diese frühen Erlebnisse ja aus einer Zeit, in der er noch nicht krank war, in der er also noch kompetent und »fit« war. Verständlicherweise erinnert man sich leichter an Erlebnisse aus diesen angenehmen Zeiten.
Nachlassende Aufmerksamkeit
Eine andere wichtige Ursache von Kommunikationsstörungen sind Aufmerksamkeitsprobleme. So erlebe ich vielleicht immer wieder, dass der Kranke etwas erzählen möchte, doch in seiner Erzählung von seinem eigentlichen Thema abkommt oder dass er in einer gemeinsamen Unterhaltung mit mir nicht bei unserem Gesprächsthema bleibt, sondern über Dinge spricht, die gar nichts mit dem Thema zu tun haben. Manchmal reißt sogar sein Gedankengang während der Unterhaltung völlig ab: Er erzählt etwas, hält plötzlich inne und weiß dann gar nicht mehr, über was er gesprochen hat und was er überhaupt sagen wollte.
Ein Zeichen von Aufmerksamkeitsstörungen liegt auch dann vor, wenn der Betroffene seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf mich gerichtet halten kann, während ich mich mit ihm unterhalte: Dann steht er vielleicht während des Gesprächs plötzlich auf und geht aus dem Raum, sieht aus dem Fenster, beginnt zu pfeifen oder beginnt selbst zu sprechen.
wichtig
Wenn ich nicht wüsste, dass dieses Verhalten Auswirkungen einer Krankheit sind, dann würde ich es als sehr kränkend empfinden. Denn es entspricht unserem kulturellen Verständnis von Höflichkeit und sozialer Kompetenz, dass man seine Aufmerksamkeit so lange auf seinen Gesprächspartner gerichtet hält, wie er spricht.
Doch mit dem genauen Wissen um die Folgen der Demenzerkrankung kann ich lernen, mit diesen Auswirkungen umzugehen und im Rahmen der einfühlsamen Kommunikation neue Wege finden, durch die ich die Verständigung mit dem Kranken trotz seiner Störungen aufrechterhalten kann.
Die Urteilskraft lässt nach
Probleme beim (Wieder-) Erkennen von Gegenständen können die Kommunikation zwischen dem Kranken und mir natürlich ebenfalls sehr erschweren. Wie in dem Beispiel auf → S. 34 beschrieben, kann der Kranke auf meine Bitte hin mir seine Tasse nicht reichen, wenn er den Gegenstand vor sich nicht als Tasse erkennt.
Auswirkungen der fehlenden Krankheitseinsicht
Bei den meisten Demenzkranken tritt auch ein weiteres Erkennensproblem auf: Sie erkennen ihre eigenen Beeinträchtigungen, Störungen und Fehlleistungen nicht mehr vollständig.
Aus dem als eingeschränkter Krankheitseinsicht oder Anosognosie (→ S. 51 ) bezeichneten Symptom erwachsen meist große Verständigungsprobleme. Denn die Einsicht in die eigene Situation und die eigenen Fähigkeiten ist eine der Grundvoraussetzungen für gelingenden Austausch zwischen zwei Menschen. Wenn sich ein Kommunikationspartner unentwegt über seine eigene aktuelle Situation »täuscht«, kommt es unweigerlich zu Störungen.
»Natürlich kann ich alles noch allein!«
Selbst- ist nicht gleich Fremdbild.
Als Angehörige habe ich bei der Krankenkasse des demenzkranken Familienmitglieds die Einstufung in eine Pflegestufe beantragt. Nach einer gewissen Zeit von einigen Wochen stellt sich nun eine Mitarbeiterin vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen
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