Alzheimer und Demenzen
von Thun herausgefunden, dass die Störungsanfälligkeit unserer Kommunikation daher kommt, dass wir gar nicht nur die Botschaften an unseren Kommunikationspartner senden, die er tatsächlich hören kann, sondern noch weitere unausgesprochene Botschaften mitsenden.
Die Quadratur einer Nachricht
Der Autor hat zur Erklärung einen sehr anschaulichen Vergleich angestellt, indem er eine Nachricht, die eine Person einer anderen mitteilt, als »Quadrat« bezeichnet. Mit diesem Bild will er deutlich machen, dass jede Nachricht vier Seiten hat, d. h. aus vier Teilbotschaften besteht. Wenn jemand etwas zu seinem Gesprächspartner sagt, dann teilt er ihm viel mehr mit als die rein sprachliche Aussage: Diese wörtlich vernehmbare Äußerung ist nur Teilbotschaft, der zusätzlich drei weitere unausgesprochene Botschaften beigepackt werden, welche der Gesprächspartner ebenfalls empfängt.
Während die ausgesprochene Botschaft jedoch bewusst empfangen wird, erreichen die beigepackten, nicht wörtlich ausgesprochenen Mitteilungen oft ihr Ziel, ohne dass sich der Empfänger der zusätzlich aufgenommenen Botschaften unbedingt bewusst sein muss. Und doch sind sie für das Zustandekommen eines echten Verständnisses mindestens so bedeutungsvoll wie die eigentliche sprachliche Äußerung. Um welche unausgesprochenen Botschaften handelt es sich da genau?
Die vier Seiten einer Nachricht.
Die vier Teilbotschaften, die nach Schulz von Thun das Quadrat einer Äußerung bilden, sind
der Sachinhalt (die Informationen, die in meiner Äußerung stecken),
die Selbstoffenbarung (das Bedürfnis, das mich zu meiner Äußerung motiviert),
die Beziehungsnachricht (die Einschätzung, die ich von meinem Kommunikationspartner habe),
die appellierende Nachricht (die Aufforderung, die ich an meinen Kommunikationspartner richte).
Diese vier Seiten sollen nun anhand eines ganz alltäglichen Beispiels vorgestellt werden, in dem Demenzerkrankungen gar keine Rolle spielen.
»Heute ist übrigens der 3. März!«
Eindeutig bleiben.
Ich sitze an meinem Geburtstag mit meiner Familie am Frühstückstisch und warte darauf, dass sich jemand daran erinnert, dass ich heute Geburtstag habe und mir gratuliert. Doch offenbar haben es alle vergessen, niemand spricht mich darauf an. Schließlich sage ich laut mit deutlich gereiztem Unterton: »Heute ist übrigens der 3. März!« Während die Nachricht auf der Inhaltseite eine Information über das aktuelle Datum ist, hat meine Äußerung auch eine deutliche Selbstoffenbarungsnachricht: »Ich bin enttäuscht und verärgert!« Ich sende also zusätzlich eine Botschaft über mein Bedürfnis, wahrgenommen und beachtet zu werden – in diesem Falle sende ich die Selbstoffenbarungsnachricht absichtlich und gewollt – wenngleich ich sie nicht wörtlich ausspreche. Darüber hinaus sende ich auf der Beziehungsseite auch Nachrichten – und zwar diese: »Ihr seid sehr unaufmerksam!« und »Als Familienmitglieder stehen wir uns so nahe, dass ich erwarten kann, dass Ihr an meinen Geburtstag denkt!« Wie die Selbstoffenbarungsnachricht versende ich auch in diesem Fall diese Beziehungsmitteilungen absichtlich und gewollt. Und natürlich verbinde ich mit meiner Äußerung auch einen Appell an meine Familie: »Entschuldigt euch bei mir und holt das Versäumte nach!«
Vier Seiten verstehen.
Wenn meine Familie nur die Inhaltsnachricht meiner vier gesendeten Nachrichten hört und die anderen drei Nachrichten nicht versteht, dann interpretiert sie meine Äußerung als bloße Information über das heutige Datum. Es liegt auf der Hand, dass ich mit ihrer Reaktion in diesem Falle nicht zufrieden sein werde. Und so wird es – zumindest kurzfristig – zu Ärger und schlechter Stimmung kommen.
Um erfolgreich miteinander zu kommunizieren, muss der Empfänger der Äußerung alle vier Botschaften richtig, d. h. in dem vom Sprecher gemeinten Sinn verstehen.
Nun ist es aber für den Hörer oftmals gar nicht so einfach, eine Äußerung vollständig zu verstehen. Denn das Gesagte, das er wirklich akustisch wahrnehmen kann, ist ja nur »die Spitze des Eisbergs«. Die anderen Nachrichten, die den großen Fuß des Eisbergs bilden, kann er nicht wirklich hören, sondern nur interpretierend erschließen aus dem Klang der Stimme des Sprechers, seinem Gesichtsausdruck, dem Wissen über den Sprecher und seine gesamte Situation. Daher misslingt dieser Verständigungsprozess leider auch häufiger.
Die Selbstoffenbarungen des Demenzkranken
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