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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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Schulhof umgestürzt ist.«
    Sie sehen mich mit ernsten Gesichtern an.
    »He, David«, sage ich, »hör mit dem Quatsch auf! Sag, dass du dich daran erinnerst!«
    »Ich erinnere mich nicht«, sagt er. »Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.«
    Ich schaue ihn an, sehe, dass er mich nicht verarschen will. Dann sehe ich Dinah und Gabriel an. Dinah schüttelt langsam den Kopf. Mich überkommt das vage Gefühl, doch verarscht worden zu sein. Plötzlich fühle ich mich ausgeschlossen, wie früher, als man klein war und nicht mit den anderen Kindern spielen durfte. Nur bin ich mir jetzt, in diesem Fall, vollkommen sicher, wer recht hat und wer nicht.
    »Ein Glück, dass ihr mich habt«, sage ich.
    »Was machen wir jetzt?«, fragt Dinah, als hätte sie mich nicht gehört.
    David hebt die Schultern. »Wir warten hier, bis es aufhört.«
    Ich schüttle heftig den Kopf. »Im Hühnerstall stehen Plastikfässer«, sage ich. »In denen können wir Wasser sammeln.«
    Dinah nickt.
    Wir stehen schweigend im Stall und überdenken unsere Lage. Sie hätte besser sein können. Vermutlich hätte sie auch sehr viel schlimmer sein können. Wir haben ein Dach über dem Kopf. Wir haben einen Traktor mit Anhänger. Eine Menge Geräte und Werkzeug. Und ein zahmes Schwein. Ich bücke mich und kraule Tüchtig hinter den Ohren. Er presst sich gegen meine Beine.
    »Jetzt kriegen wir wenigstens Wasser, mein Wutziwutz«, sage ich.
    •
    Ich weiß nicht, wie lange wir im Stall bleiben. Ich sitze in der leeren Box des Ponys mit Namen Lady und halte Tüchtig in den Armen. Das monotone Dröhnen des Regens hallt wie ein Geräusch aus ferner Urzeit von den Wänden, jenseits von Zeit und Raum. Die Zeit existiert nicht, wir haben nichts, womit wir sie messen könnten. Ich denke an den schönen Kalender, den Dinah angefertigt hat, und an den ersten Tag,
Marzo 
IV
.
Wir müssen das Brett hereinholen. Auf solche Sachen müssen wir unbedingt achten, sonst droht uns die totale Verwirrung.
    Gestern war Sonntag. Dann ist bald Montag.
Marzo V, Montag.
Ich spüre, dass das so ist. In meinem ganzen Körper ist es Montag. Genauso war früher das Montagsgefühl, wie ein Erdbeben und fünf Beerdigungen.
    Was für ein Glück, dass wir vorhin, als es losgeregnet hat, nicht auf unserem Lagerplatz waren! Die Teiche müssen inzwischen überschwemmt sein, wahrscheinlich liegt alles unter Wasser, und nur Red Bull auf dem Wall ist noch sichtbar. Hoffentlich steht er noch auf seinem Posten, falls ein Schiff vorbeikommt. Plötzlich fällt mir ein, dass das Floß womöglich in dem Hochwasser vom Riff weggetrieben ist. Vielleicht ist es inzwischen weit weg von hier. Wir sitzen fest, denke ich. Wir sind Gefangene auf einem Einödhof bei einer toten Familie.
    •
    Ich wache auf, weil mich etwas an der einen Hand kitzelt. Erst bin ich so verschlafen, dass ich nicht weiß, wo ich mich befinde. Dann sinken die Träume langsam nach unten, und ich steige aus ihnen heraus, wie man aus einem Rock steigt. Ich liege mit geschlossenen Augen da und höre dem Regen zu, der mit unverminderter Kraft herabprasselt.
    »Tüchtig, was ist?«, murmle ich. »Hast du Hunger?«
    Tüchtig antwortet nicht.
    »Bald sterben wir alle vor Hunger«, murmle ich. »Versuch lieber zu schlafen.«
    Ich will schon wieder einschlafen, da kitzelt es wieder an meiner Hand. Als ich es wegzuwedeln versuche, stößt die Hand an etwas Weiches, Behaartes. Es dauert mehrere Sekunden, bis ich mich zu fragen beginne, ob das wirklich Tüchtig ist, was ich da fühle.
    Ich öffne das eine Auge und sehe die anderen in einem Knäuel neben mir schlafen. Dinah hat den Daumen im Mund. Wie einen Schnuller, denke ich.
    Als ich den Kopf sachte hebe und auf meine Hand hinunterschaue, kann ich das Tier erkennen, das an meinen Fingern schnuppert. Es ist nicht Tüchtig. Es ist ein sehr viel kleineres Tier. Direkt dahinter steht noch so ein Tier. Plötzlich bin ich hellwach. Ich bleibe regungslos liegen, sperre beide Augen auf und sehe mich in der dunklen Pferdebox um. Da sind noch mehr Tiere. Eins, zwei, drei, vier, zähle ich. Als mein Blick suchend in die Dunkelheit vor der Box fällt, sehe ich, dass der dunkle Stallboden sich irgendwie bewegt und hin und her schwankt. Der Spaten, denke ich. Wo zum Henker habe ich den Spaten hingestellt?
    Ich fasse David am Arm und kneife ihn vorsichtig.
    »Ich sterbe vor Hunger«, murmelt er. »Wir müssen was zu essen besorgen, Judit.« Dann sinkt er wieder in den Schlaf zurück.
    »David«,

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