Am Anfang war das Ende (German Edition)
älteren tragen hölzerne Speere, die an den Enden angespitzt sind. Einer von ihnen hat einen Bogen um die Schulter gehängt.
Die Kinder starren Devil an. Er hat sich hingelegt und schlägt abwartend mit dem Schwanz, als wäre er vom Anblick all dieser kleinen Schmutzfinken überwältigt.
Ich frage mich, was sie wohl hinter sich haben, woher sie kommen und wie sie hier gelandet sind. Manche von ihnen sind so klein, dass sie eigentlich noch im Sandkasten sitzen müssten. Ich erinnere mich noch, wie ich selbst in dem Alter war und Opa mir einen hölzernen Fisch auf Rädern schenkte, den ich auf Schritt und Tritt an einer Schnur hinter mir herzog. Wenn der Untergrund so uneben wurde, dass der Fisch nicht weiterkam, setzte ich mich hin und weinte, bis irgendein Erwachsener sich erbarmte und mich und den Fisch an eine geeignetere Stelle trug. Nachts schlief der Fisch unter meinem Bett. In diesem Alter ungefähr sind die meisten Kinder. Eigentlich sollten sie mit Legosteinen bauen und Fußball spielen, Gummibärchen kauen und Apfelsaft trinken und bei spannenden Vorlesegeschichten über Füchse und Kaninchen einschlafen.
Ich merke, dass Benjamin mich auch wiedererkennt, und erst kommt es mir vor, als lächelte er mir zu, aber als David und Gabriel mit lautem Geschrei angerannt kommen, erstarrt er, und sein Gesicht nimmt einen ernsten Ausdruck an, der mir fremd ist.
»Stop there!«, schreit David. »We want to talk to you.«
Benjamin verzieht keine Miene, und auch keins der anderen Kinder rührt sich.
»You have stolen our days«, sagt Gabriel. »We want to have them back.«
Ich nicke, als er das sagt, damit Benjamin versteht, dass es wichtig ist, aber er sieht nicht so aus.
»What have you done with them?«, sagt David.
Die ganze Szene erinnert an einen alten Western. Fehlt nur noch, dass der Sheriff auftaucht und eine Schießerei verhindert. Nach einer Weile geht mir auf, dass ich der Sheriff sein könnte. Also hebe ich die Hand.
»Wait a minute!«, murmle ich.
Devil erhebt sich und reckt sich mit laut hörbarem Gähnen. Ich wende mich direkt an Benjamin.
»We don’t want any trouble«, sage ich leise. »But we have to have the days back.«
»I don’t speak english«, sagt Benjamin ernst.
»What do you dann speak?,« sage ich.
Benjamin schweigt. Ich sehe, dass er nachdenkt.
»Darf man den Hund streicheln?«, sagt er schließlich.
»Na klar«, sage ich, und wie auf Kommando stürzen sich die Kinder auf Devil und streichen ihm übers Fell. Dabei stellen sie sich etwas ungeschickt an, wie Kinder eben, die noch nie ein eigenes Tier gehabt haben.
Ich gehe neben einem der jüngsten in die Hocke, einem Mädchen mit aufgeschürften Knien und struppigen braunen Haaren.
»Dann seid ihr es wohl gewesen, die hier auf dem Hof euren Spuk mit uns getrieben habt?«, sage ich.
•
Am Abend versammeln wir uns auf dem Hof vor der Veranda. Die Kinder haben den Kalender zurückgebracht. Dinah hält das Messer in der Hand und ritzt das Datum des Tages ein. Ich brülle, so laut ich kann:
»Alle herkommen!«
Die Kinder kommen sofort, halten aber gehörigen Abstand. Nur das Mädchen mit den aufgeschürften Knien rennt zu mir her und umklammert meine Beine, während sie unablässig die tote Familie auf den Gartenmöbeln anstarrt. Mir ist klar, dass die Kinder sich vor ihnen fürchten.
David hebt den Arm. Es wird ruhiger. Er wartet, bis es ganz still ist.
»Das hier ist unsere Zeit«, sagt er und deutet auf das Brett. »Was auch geschieht, die werden wir behalten.«
Er verstummt und deutet mit einem Kopfnicken auf mich.
»Was für ein Tag ist heute, Judit?«
Ich zeige auf das Brett und sage: »Dienstag, der zwanzigste Marzo, anno eins.«
Die Kinder starren das Brett an, kapieren aber offensichtlich null.
»Kennt ihr die Tage?«
Der Junge namens Benjamin schüttelt den Kopf.
»Morgen ist Mittwoch«, sage ich. »Das werdet ihr merken, weil das ein ganz anderer Tag ist. Und dann kommt der Donnerstag, der ist auch einfach.«
»Wie heißt der noch mal, den wir heute haben?«, fragt das kleine Mädchen.
»D-i-e-n-s-t-a-g«, sage ich. »Das ist ein guter Tag. Einer der besten.«
Das Mädchen sieht mich an und nickt eifrig. »D-i-e-n-s-t-a-g«, wiederholt sie.
»Gut«, sage ich.
•
Das kleine Mädchen mit den aufgeschürften Knien folgt mir so dicht auf den Fersen, dass sie mir jedes Mal, wenn ich stehen bleibe, in die Hacken läuft. Wenn ich mich dann umdrehe und sie ansehe, schaut sie weg und tut so, als würde
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