Am Anfang war das Ende (German Edition)
»Wer ist das denn?«
Da müssen David und Gabriel beide lauthals lachen.
»Das sind doch nur der Vater und die Mutter«, sagt David.
»Als eine Art Warnung«, erklärt Gabriel.
»Wovor?«
»Dass es gefährlich ist, sich diesem Hof zu nähern«, sagt David. »Wer das wagt, tut es auf eigene Gefahr.«
»Das gilt dieser Kinderbande, die uns terrorisiert«, fügt Gabriel hinzu.
»Was soll das heißen – Kinderbande?«, frage ich verblüfft.
»Da zieht so eine Schar Kinder durch die Gegend. Sie haben Red Bull abgefackelt.«
»Ist das wahr?«, fragt Dinah.
Gabriel nickt. »Den Kalender haben sie auch geklaut.«
»O nein!«, stöhne ich. »So was Fieses. Jetzt kommt alles wieder durcheinander.«
»Was sind das für Kinder?«, fragt Dinah.
David zuckt die Schultern. »Erst haben wir gedacht, sie sind eine organisierte Bande oder so was, weil sie sich auch so benehmen. Aber inzwischen nehmen wir an, dass es sich nur um verwilderte Kinder handelt.«
»Verwilderte Kinder«, wiederhole ich. »Na, das wird ja immer geheimnisvoller.« Dann fällt mir das Kästchen mit den Samenkörnern ein, das wir bei Oma gefunden haben. Ich lege den Sack ab und öffne ihn.
»Schaut mal!«, sage ich und schüttle das Kästchen vorsichtig. »Das ist voller Samenkörner!«
»Cool, Judit! Wo hast du das denn gefunden?«
»Ich finde, wir sollten sie wieder runterholen«, sage ich und zeige auf den Mann und die Frau im Baum. »Jetzt, wo wir Devil haben, der uns bewacht.«
Gemeinsam lassen wir die beiden Toten herab, tragen sie behutsam auf die Veranda und setzen sie dort auf die Gartenstühle. Dann tragen wir die Zwillinge aus der Küche und setzen sie neben die Eltern. Es sieht aus wie eine ganz normale Familie, die zum Nachmittagskaffee auf der Veranda sitzt.
Die verwilderten Kinder
Den ganzen folgenden Tag mühe ich mich mit dem Gemüsebeet ab. Devil und Dinah helfen mir. Wir zerschlagen die harten Erdschollen, die der Pflug umgewendet hat, und zerkleinern sie Stück für Stück mit dem Rechen, eine schweißtreibende Arbeit. Immer wieder werfe ich dem Traktor einen wütenden Blick zu, der leblos neben dem Beet steht. Aber als wir fertig sind, ist das Ergebnis besser, als ich zu hoffen gewagt habe. Die hellbraune Erde liegt fast eben da, porös und luftig. Nicht so wie richtiger Humus, aber immerhin so gut, wie es bei diesen chaotisch durchmischten Erdschichten überhaupt möglich ist.
Wird hier etwas wachsen können? Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe, dass es den Auberginen gelingen wird. Oma hat immer gesagt, das seien einmalige Pflanzen.
Das Samenkästchen steht neben dem Beet. Ich ziehe einen langen Schraubenzieher aus der Gesäßtasche, zwänge ihn unter den Deckel und stemme ihn auf. Es knirscht, und nach ein paar Sekunden fliegt der Deckel mit einem kleinen Knall davon.
»Bravo!«, ruft Dinah aus.
Vorsichtig leere ich die Samenkörner in meine gewölbte Hand.
»Hier ist noch ein Zettel«, sage ich und falte ein Blatt Papier auseinander, das zusammengefaltet auf dem Boden der Schachtel lag. Es ist eine Zeichnung, die ich als kleines Mädchen gemacht habe und die Oma und mich im Garten darstellt. Ich zeige sie Dinah.
Sie lächelt über die kindliche Zeichnung. »Die bringt garantiert Glück!«, sagt sie.
»Du darfst die Furchen machen«, sage ich und zeige ihr, wie sie den Rechenstiel ziehen muss.
Als wir fertig sind, sieht das Beet aus wie ein frisch gemachtes Bett. Hier schlafen hundert Auberginen, denke ich. Hoffentlich wollen sie aufwachen. Laut sage ich: »Die Zeichnung kommt hierhin«, und stecke das Papier mit einem dünnen Hölzchen in das eine Ende des Beetes.
•
Manche fremde Menschen, denen man in neuen Umgebungen begegnet, können Personen, die einem vertraut sind, fast erschreckend ähnlich sehen. Als wären alle nur Spiegelbilder.
Dieses Gefühl überkommt mich, als ich Benjamin sehe. Ich bin mir nämlich fast sicher, dass ich ihn schon einmal gesehen habe. Ich weiß nur nicht, wo.
Als David schreit: »Jetzt kommen die Rotznasen!«, habe ich die Kinder schon längst erblickt. Sie haben von hinter der Hecke zugeschaut, wie Dinah und ich das Beet bestellt haben. Als wir fertig sind, kommen sie aus ihrem Versteck, und da erst werden sie von David entdeckt. Sie stehen in einer langen Reihe nebeneinander, eine ganze Bande kleiner Kinder. Windzerzaust, sonnenverbrannt, rotzverschmiert und voller Schürfwunden. Ihre Kleider starren von Schmutz und hängen in Lumpen an ihnen herab. Ein paar der
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