Am Anfang war das Ende (German Edition)
ein Missverständnis. Ich sitze auf der Veranda und entferne einen Holzsplitter aus Devils Pfote, als Benjamin, Gabriel und Dinah um die Ecke kommen.
»Ach, da bist du ja!«, ruft Dinah. »Hast du schon gesehen, dass die Auberginen zu keimen beginnen?«
»Ha, ha!«, sage ich kurz angebunden und widme mich weiterhin dem langen Splitter in der Pfote.
»Aber es ist stimmt tatsächlich«, sagt Dinah. »Oder, Gabriel?«
»Es ist unglaublich, Judit. Sie keimen tatsächlich. Das musst du dir ansehen!«
»Ich weiß, dass heute der erste April ist«, sage ich, ohne aufzusehen.
Sie geben nicht auf und nerven mich, bis ich den Splitter aus Devils Pfote heraushabe. Da seufze ich tief und gehe mit ihnen zum Beet. Ist ja klar, dass die Kinder mir meinen Aprilscherz heimzahlen wollen.
Als ich das Beet sehe, bin ich immer noch davon überzeugt, dass sie mich zum Narren halten und die Blättchen nur so in den Boden gesteckt haben.
»Wer hat das gemacht?«, frage ich und werde allmählich wütend.
Da kommt Gabriel und nimmt mich in die Arme. »Aber Judit, begreifst du denn nicht? Die wachsen wirklich! Die sind ganz von allein gewachsen. Das ist nichts, was wir erfunden haben.«
Er meint es tatsächlich ernst, das höre ich an seiner Stimme und merke ich an seiner Umarmung. Als ich das Beet erneut anschaue, sehe ich, dass es wahr ist. Es sind tatsächlich Auberginenkeime! Das muss in kürzester Zeit passiert sein. Überall schauen kleine grüne Doppelblätter aus der Erde. Sie sehen genauso munter und neugierig aus, wie Oma sie immer beschrieben hat. Freude schießt in mir hoch.
»Sie wachsen!«, schreie ich. Dabei hält Gabriel mich immer noch im Arm, und wir stolpern in einem Freudentanz um das Beet.
»Die Auberginen wachsen!«, juble ich, lasse einen lachenden Gabriel los und hüpfe wie eine Wahnsinnige im Kreis herum, und genau in dem Moment, genau dort, wo ich gerade bin, bin ich außer mir vor Glück.
•
Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass die darauffolgenden Tage zu den besten in meinem neuen Leben gehörten. Es folgten Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, normale Tage, die zum ersten Mal seit langem genau das waren – normale Tage, die kamen und gingen. Tage, an denen nichts Besonderes passierte. Die Toten waren tot, wir lebten immer noch. Je mehr ich an all das dachte, was gewesen war, desto seltsamer kam es mir vor. Kurz gesagt, es war eigentlich unfassbar, dass wir tatsächlich noch am Leben waren.
Jetzt, während dieser wenigen Tage, machten wir fast ganz normale, alltägliche Sachen.
David und Gabriel verbrachten die meiste Zeit draußen auf dem Floß. Dort hatten sie etwas zu bauen begonnen, was eines Tages vielleicht unser neues Zuhause werden sollte. Inzwischen konnte man schon sehen, wie es aussehen würde: Auf dem Floß sollte ein richtiges Haus entstehen, ungefähr wie bei einem Hausboot. Die Kinder halfen mit, indem sie rotgestrichene Bretter von den Stallwänden losbrachen. David und Gabriel trugen die Bretter auf den Schultern zum Ufer. Manchmal hallten die Hammerschläge auf dem Floß so laut, dass wir sie bis auf den Hof ahnen konnten. Dann lächelte ich innerlich und stellte mir zufrieden das fertige Hausboot vor.
Wenn David und Gabriel abends zurückkamen, brachten sie einen Korb voller Muscheln und Schnecken. Schweißglänzend, mit roten Gesichtern kamen sie durch die Lücke, die wir inzwischen in die Hecke getrampelt hatten, marschierten in die Küche und kippten den Inhalt des Korbes direkt in den dunklen Schlund des Vorratskellers. Ab und zu hatten sie sogar ein paar Fische dabei, die sie aufgespießt hatten.
Wir hatten auch zwei Plastikfässer in den Vorratskeller gestellt, die wir jeden Tag mit frischem Wasser aus dem unterirdischen Bach füllten. Dinah und ich hatten nicht schlecht gestaunt, als David und Gabriel uns zum ersten Mal in die geheime Unterwelt geführt hatten. Das Wasser zu holen war meistens die Aufgabe von Hänfling und Vendela, die es in unseren alten Wassersäcken transportierten.
Wenn sie genügend Wasser geholt hatten, halfen sie Benjamin, hoch oben in der abgestorbenen Ulme einen Ausguck zu bauen. Wie sie so in den Ästen der Baumkrone herumturnten, erinnerten sie mich fast ein wenig an Äffchen in schmutzigen Kleidern. Ab und zu hörte ich es krachen, wenn ein toter Ast abbrach und mit dumpfem Aufprall unten auf dem Boden landete. Wenn Benjamin sah, dass ich ihn beobachtete, winkte er mir zu und rief: »Von hier oben sieht man unendlich weit!«, oder:
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