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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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nichts mehr zu tun. Das Gespräch mit Ruth Duda'i hatte nichts Neues gebracht, Eli Bachar war noch nicht zurück vom Har ha-Zofim, Tuwja Schaj war wieder zum Detektor bestellt worden, und Michael saß in seinem Zimmer und hatte nichts zu tun. Das Telefon klingelte nicht. Der Fachmann für den Detektor kann auch mit Zila seine Ergebnisse besprechen, dachte Michael, als er zu seinem Auto hinunterging.
     
    Die Luft war inzwischen kühler, dennoch waren seine Bewegungen langsamer als sonst. Er fuhr erst dann über die Kreuzung an der Jaffastraße, als hinter ihm gehupt wurde. Er erreichte Giv'at Ram, ohne zu wissen, wie, und parkte das Auto auf dem Platz vor dem fast leeren Campus.
    Mit langsamen Schritten ging er durch das Tor, drinnen betrachtete er den gepflegten Rasen, auf dem niemand mehr herumlag, und die alten Bilder tauchten vor ihm auf: Dutzende von Studenten, die sich auf dem Rasen ausruhten, auf ihrem Weg von einem Hörsaal zum anderen, zwischen dem Aufenthalt in der Bibliothek und dem Gang zur Cafeteria, er sah die Rasenfläche bunt gesprenkelt von der Kleidung der Studenten der Geisteswissenschaften, er sah sie langsam die Wege entlangschlendern, hier trafen sich immer alle, als hätten sie alle Zeit der Welt. So war es, bis die Geisteswissenschaften auf den Har ha-Zofim umgezogen waren. Erst vor fünf Jahren, dachte Michael. Die Naturwissenschaftler hatte man damals auf dem Rasen nicht gefunden, sie waren in einem anderen Teil des Campus, in ihren Labors. Jetzt waren aus den Gebäuden Labors geworden, und auf den Wegen gingen Studenten der Naturwissenschaften mit energischen Schritten, die nur die Frage aufkommen ließen, überlegte Michael, was für ein Ziel Leute haben können, die sich in einer Welt vorwärtsbewegen, in der es kein Leben mehr gibt. Neben dem Gebäude, das früher einmal Haus Lauterman gewesen war, blieb er stehen und betrachtete das neue Schild, jetzt hieß es Haus Berman. Er betrachtete den Haufen zerbrochener Stühle in der Eingangshalle, doch er ging nicht hinein, erinnerte sich nur, daß er bei seinem vorigen Besuch festgestellt hatte, daß die Räume Büros geworden waren. Was war so schlimm an diesem Campus gewesen, daß man einen neuen Zweig auf dem Har ha-Zofim errichten und das Haus Lauterman zum Haus Berman machen mußte? Und was für eine Generation wurde dort in diesen Steinhäusern erzogen? fragte er sich wieder, schüttelte die Gedanken ab und ging schnell hinüber zur Nationalbibliothek.
    Das erste, was er bemerkte, war der Geruch im Katalograum. Der gleiche Geruch von Büchern, von Holz und Menschen. Rote Karten für den allgemeinen Lesesaal und blaue für den Saal Judentum und Orient. Es gab auch Neuerungen – Computer standen auf dem runden, schwarzen Counter, und vor ihnen saßen einige ältere Frauen und beantworteten mit höflicher Geduld alle Fragen. Seine Bewegungen wurden flinker, als er vor dem Schrank mit den Karteikarten stand, die Schublade mit der Aufschrift »Ti–Tr« herauszog und die Namen einiger Gedichtbände und ihre Katalognummern auf Bestellkarten einzutragen begann. Aus alter Erfahrung – damals hatte er oft genug eifrig gewartet, zum Beispiel auf einen seltenen Aufsatz, und zu seiner Enttäuschung im Lesesaal dann den roten Zettel mit der Aufschrift gefunden, das Gesuchte sei »nicht vorrätig« – bestellte Michael Ochajon alle Exemplare. Besonders achtete er darauf, die mit »A« gekennzeichnete Archivausgabe zu bestellen, und schließlich schrieb er auch das Buch von Tuwja Schaj auf: Die Bedeutung Tiroschs – Betrachtungen zu den Gedichten von Scha'ul Tirosch. Dann steckte er alle Zettel in den Schlitz, auf dem mit roten Buchstaben »Bestellung« stand, und fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis die Bücher da wären. Der Student am Counter sagte: »Mindestens eine Stunde«, und Michael seufzte, es hatte sich nichts geändert. Er ging zurück zum Katalograum und suchte fieberhaft nach den Werken Agnons. Er bestellte beide angegebenen Ausgaben des Romans Schira und ging zurück zur Bibliothek.
    Die Cafeteria von damals, im Untergeschoß, war verschwunden, und wieder tat ihm das Herz weh. Ausgerechnet im Lesesaal für jüdische Literatur, während er in den Zeitschriften Literatur und Lesezeichen und Waage blätterte und über den israelischen Versuch, Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu sein, nachdachte und sich über die Überschriften der Beiträge, die ihm völlig unverständlich vorkamen (»Semiotische Variationen

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