Am Anfang war das Wort
gemacht hat. Manchmal hat er mir ein Manuskript gezeigt. Prosatexte hat er sofort an Dita Fuchs weitergegeben. Er selbst hat in den letzten Jahren nur Gedichte gelesen.«
»Und der Aufsatz über das letzte Kapitel von Schira?« fragte Michael.
»Schira? Sie meinen das Buch von Agnon?« Klein machte ein erstauntes Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, er hat sich nie mit Agnon beschäftigt.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Soweit ich weiß, jedenfalls.«
Michael erkundigte sich nach der Prozedur, wie die Manuskripte ankamen, wie sie zurückgeschickt wurden.
»Die Absender gaben ihre Adresse oder eine Telefonnummer an, es sei denn, ein Bekannter überreichte sie persönlich«, erklärte Klein. »Und im Gegensatz zu Seminararbeiten hat Tirosch sehr schnell auf Manuskripte reagiert. Sein ganzes Leben lang war er damit beschäftigt gewesen, begabte junge Leute zu entdecken, er hat nie seinen Wunsch versteckt, daß er so etwas wie ein ›Arbiter poeticum‹ sein wollte, ein Kunstrichter.«
Michael erwähnte Tiroschs Sitzungen im Café Roval in Tel Aviv, und Klein lächelte einen Moment, dann meinte er zweifelnd: »Nein, Erbarmen war ein Gefühl, das ihm fremd war, vor allem, wenn es sich um Kunst handelte, er war manchmal grausam. Andrerseits habe ich ihm das nie vorgeworfen, ich glaube, daß Menschen, die sich mit Kunst beschäftigen, sich bewußt entblößen, und ein Teil dieser Entblößung ist künstlerischer Art. Auf diesem Gebiet hatte Tirosch keine Konkurrenz, er war ein ausgezeichneter Kritiker.«
Wieder klingelte das Telefon, Klein nahm den Hörer auf und lauschte. Sein Gesicht wurde weich, er warf Michael einen besorgten Blick zu und sagte: »Versuche dich zu beruhigen, ich rufe dich an, sobald ich kann.«
Er legte den Hörer auf. »Das war Ja'el Eisenstein. Wie Sie wissen, ist sie eine meiner Doktorandinnen. Sie ist wieder verhört worden, und auch die Sache mit dem Detektor macht ihr zu schaffen. Sie ist sehr verletzlich.«
»Ach ja?« sagte Michael und merkte selbst, wie aggressiv seine Stimme klang. Er war die väterlich-beschützende Haltung leid, die Klein zeigte, wenn es um seine Studenten ging. Er fragte sich insgeheim auch, inwieweit Ja'els Schönheit diesen großen Mann beeinflußte, der ihm gegenübersaß und nervös mit einem Brieföffner spielte.
»Haben Sie gewußt, daß sie mit Scha'ul Tirosch verheiratet gewesen war?« fragte Michael. Kleins Gesicht wurde von einer leichten Röte überzogen. Er blickte Michael vorsichtig an und sagte protestierend: »Das ist doch Jahre her und längst vergessen.« Er legte den Brieföffner vor sich auf den Tisch.
»Haben alle davon gewußt?«
»Nein«, sagte Klein und wischte sich mit seinen großen Händen über das Gesicht. »Ich glaube nicht, daß alle es wußten. Scha'ul hat nie darüber gesprochen, und auch Ja'el zog es vor ... hm ... sich nicht zu erinnern.«
Michael schwieg, und Klein blickte sich unbehaglich um, doch schließlich, als gebe er auf, schaute er seinem Gegenüber in die Augen.
Vor fünfzehn Jahren, sagte er, er könne das Jahr herausfinden, falls es wichtig wäre, als er nach einer Übung aus einem der Räume im Haus Meiser gekommen sei, in Giv'at Ram, habe neben dem Geländer ein junges, schwarzgekleidetes Mädchen auf ihn gewartet. Er erinnere sich, wo sie gestanden habe, sagte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, im zweiten Stock. Sie wollte mit ihm sprechen. Er hatte sie vorher noch nie gesehen, lud sie aber in sein Zimmer ein, weil sie so etwas Verschlossenes und Verzweifeltes an sich gehabt habe. Sie erzählte ihm, wie sie Tirosch getroffen hatte. »Als sie seinen Namen aussprach«, sagte Klein lächelnd, »glaubte ich, es handle sich um ein neues Opfer, wie die anderen, die sich dauernd in ihn verliebten. Aber sie sah viel jünger aus als die anderen, so verletzlich, und überhaupt ganz anders.«
Du meinst, schöner als die anderen, dachte Michael. Klein erzählte weiter über die Zeit, in der Tiroschs Freundinnen häufig zu ihm kamen, um sich an seiner Schulter auszuweinen. Seine Lippen wurden für einen Moment hart, und Michael überlegte, ob er Neid empfand, doch er sagte kein Wort und hörte sich geduldig die Geschichte über »das besondere junge Mädchen« an, das Tirosch in seinem Sabbatjahr in Kanada geheiratet hatte. Wie er sich in sich selbst zurückgezogen hatte, wie er sie, ohne Worte, gezwungen hatte, auf das Baby zu verzichten, und sie dann, gedemütigt und allein, nach Israel hatte
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