Am Anfang war das Wort
zurückkehren lassen. »Er hat das Ganze wie eine Spielerei betrachtet«, erklärte Klein erstaunt. »Er hat sie eingeladen zu kommen, dann hat er es bereut. Er hat es einfach bereut.«
Klein schüttelte verständnislos den Kopf.
Michael fragte, warum Ja'el damals mit ihm hatte sprechen wollen.
»Sobald sie nach der Abtreibung wieder bei Kräften war, ist sie in ein Flugzeug gestiegen und zurückgekommen, sie ist einfach vor ihm geflohen. Vermutlich hatte sie nur das Bedürfnis, von jemandem Zuspruch zu bekommen, der Scha'ul kannte. Ich unterstützte sie, so gut ich konnte, ich sprach stundenlang mit ihr, am Schluß schrieb ich Scha'ul sogar einen Brief. Sie glaubte, ich hätte Einfluß auf ihn, weil er mich schätzte.«
Nein, Scha'ul habe sich nicht gegen eine Scheidung gewehrt, aber seit damals habe etwas zwischen ihnen gestanden, zwischen ihm, Klein, und Tirosch. Und zu Ja'el habe er seit damals eine besondere Beziehung, als fühle er sich irgendwie schuldig. Kleins Gesicht bewölkte sich.
Michael bat ihn, diese Schuld näher zu erklären.
»Nun«, sagte Klein, »sie war nicht die einzige, die er geschwängert hat, es gab noch zwei Fälle. Aber sie war so jung und so verschreckt, so zerbrechlich.« Das wiederholte er ein paarmal. Und Michael erinnerte sich an die spöttische Stimme, die gesagt hatte: »Da war mal was«, als sie nach ihrer Beziehung zu Tirosch gefragt worden war.
Laut fragte er nur, warum sie die Sache geheimgehalten habe.
Klein zuckte mit den Schultern und antwortete, Tirosch habe nie an Schuld erinnert werden wollen, und Ja'el habe später, obwohl sie damals eine schwere Krise durchgemacht hätte – einen Schwangerschaftsabbruch, die Demütigung, die er ihr zugefügt habe –, immer so getan, als wäre nichts gewesen, als habe sie alles vergessen.
Wieder wurde es still, bis Klein in philosophischem Ton sagte, es gebe Menschen, die keine Häßlichkeit ertragen könnten. Menschen wie Ja'el, erklärte er, bereite der Anblick eines Mülleimers physische Schmerzen. »Besteck im Spülstein, Blut, Abfälle, Schweißgeruch im Autobus, Bettler, eine abblätternde Wand, das alles bedeutet für sie Häßlichkeit. Man kann da nicht von verwöhnt sprechen. Wenn Sie sie kennen würden, würden Sie es verstehen. Manchmal frage ich mich, wie sie es überhaupt schafft, am Leben zu bleiben. Es gibt solche Leute. Und es gibt andere, die für die Schönheit leben, wie Tuwja Schaj, aber das ist ein völlig anderes Phänomen.« Michael fühlte, wie die Spannung seinen Körper erfaßte, er bat um eine Erklärung.
»Vor einigen Jahren war ich mit Tuwja bei einem wissenschaftlichen Kongreß in Rom, und wir gingen zusammen in die Galerie des Kapitols, wo wir die Büsten der römischen Kaiser besichtigten. Ich drehte mich zu Tuwja um, weil ich irgend etwas über das Gesicht Marc Aurels zu ihm sagen wollte, da war Tuwja nicht mehr neben mir. Ich schaute mich um und entdeckte ihn neben dem ›Sterbenden Gallier‹.« Michael nickte. Er erinnerte sich an die Statue, an die Glätte des Marmors, an die Armmuskeln der Figur, die sich bemühte, nicht in den Staub zu fallen.
»Ich habe nicht gewagt, zu ihm zu gehen«, sagte Klein. »Ich stand an der Seite und betrachtete seinen Gesichtsausdruck. Es zeigte vollkommene Hingabe. Nie im Leben habe ich seine Augen so lebendig gesehen, so ergriffen, wie sie damals in der Galerie waren, als er allein war, nur mit sich, und ganz vorsichtig den Stein berührte. Ich habe damals vieles verstanden.«
»Was zum Beispiel?« fragte Michael hart, warf heimlich einen Blick auf seine Uhr, dann schaute er wieder Klein an. »Seine Beziehung zu Scha'ul, das Glück, das er in seiner Nähe empfand. Tuwja wird nicht von der Schönheit der Natur beeindruckt, von Bergen oder von einem Sonnenuntergang am Meer, seine Sehnsucht gilt der Vollkommenheit in der Kunst. Nach diesem Besuch in der Galerie, beim Mittagessen, sprach er nur darüber, über die Vollkommenheit in der Kunst. Er achtete nicht darauf, was er aß, er trank den Wein, als wäre es Wasser. Er sprach wie ein Mann, der die Erinnerung an eine geliebte Frau wachhalten will.« Klein hielt plötzlich inne, als fürchte er, sich zu weit geöffnet zu haben, und blickte Michael spöttisch und traurig an.
»Sie haben vorher die familiären Verhältnisse Tuwjas erwähnt«, sagte er zögernd. »Nur wenige Menschen können das verstehen. Vielleicht können Sie nun die bekannten Tatsachen anders einordnen, vielleicht können Sie verstehen, was
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