Am Anfang war das Wort
phonetischer Kombinationen«, »Motivierte Funktionen der gesprochenen Sprache«) wunderte – ausgerechnet dort packte ihn mörderische Wut auf Maja, auf ihren Mann und auf die ganze Welt, und er nahm es sich noch nicht einmal übel. Nur diese Wut, das wußte Michael Ochajon, würde ihm helfen, die erforderliche Energie für die Ermittlungen in diesem »Fall« zu sammeln, und ihm vielleicht helfen, seine ganze Konzentrationsfähigkeit aufzubringen und so gut wie möglich in eine wissenschaftliche Disziplin einzudringen, von der er keine Ahnung hatte – fast keine, denn ein durchschnittlicher Leser wie er, das wußte er, war kein Fachmann auf diesem Gebiet.
Er saß ein paar Stunden im Lesesaal und blätterte in Vorträgen und Referaten, und als er den Blick hob und vor sich Frau Professor Nechama Leibowitz sah, in seinen Augen eines der letzten Relikte der alten Welt, als er sie zum Counter der Bibliothekarinnen gehen sah, den Kopf gerade, das ewige braune Barett unbeweglich, als er dann ihre Stimme hörte, obwohl sie zu flüstern versuchte, als sie zur Bibliothekarin sagte: »Aber das war nicht meine Bestellung, das ist nicht mein Buch, es ist vermutlich das für meinen Bruder«, und das liebenswürdige Lächeln sah, als sie zu ihrem Platz zurückkehrte, seufzte er erleichtert auf und vertiefte sich wieder in die Kritiken und Besprechungen der Gedichte Tiroschs und in die Aufsätze, die Tirosch über andere geschrieben hatte, vor allem über unbekannte Dichter.
Er überflog in mehreren Nummern der Literaturzeitung Richtungen Tiroschs Kritiken an heutiger Lyrik und bemühte sich konzentriert, die ästhetischen Kriterien des Mannes zu verstehen, der Dichter pries und rühmte, die bis zur Veröffentlichung seiner Artikel noch unbekannt gewesen waren und deren Namen und Werke heute jeder kannte, auch Michael. Er registrierte die giftigen Bemerkungen, mit denen Tirosch Dichter bedachte, deren Namen Michael noch nie gehört hatte.
Nicht alle von Tirosch gelobten Gedichte sprachen Michael an. Zum Teil kamen sie ihm wie eine Anhäufung bedeutungsloser Wörter vor. Doch er erkannte Tiroschs Macht, mit der er die »poetische Landkarte« von Israel festgelegt hatte, und die Erkenntnis dieser Macht versetzte ihn in eine unerklärliche Spannung.
Auf einen Zettel, den er von der jungen Bibliothekarin bekommen hatte, notierte er die Namen der Dichter, die Tirosch erbarmungslos angegriffen hatte, und ihre Bücher.
In der Zeitschrift Literatur fand er zwei Aufsätze Tiroschs, die sich mit Gedichten befaßten, die er, Michael, selbst kannte, von Tscheranichowski. Im ersten Abschnitt gab Tirosch einen Überblick über die Gedichte Tscheranichowskis, und mit einigen wunderbar klaren Sätzen erläuterte er die übliche Auslegung von Tscheranichowskis Lyrik, bevor er ein paar neue Deutungsmöglichkeiten vorbrachte, die, zu Michaels eigenem Erstaunen, sein Interesse weckten.
Dann schlug er einen Band Schira von Agnon auf, eine Erstausgabe, und tatsächlich fehlte das letzte Kapitel. Er blätterte eine Weile in dem unvollendeten Roman, dann griff er nach der fünften Auflage, die er aus Gewohnheit zusätzlich bestellt hatte, für den Fall, daß die andere nicht vorrätig wäre. Er schaute das Buch mechanisch durch, ohne zu erwarten, irgend etwas Besonderes zu finden. Doch beim Blättern fiel sein Blick auf die Überschrift »Letztes Kapitel«. Er las es, und die ganze Zeit dachte er daran, was Aharonowitsch zu Eli Bachar gesagt hatte: »Junger Mann, ein wenig Bildung hat noch niemandem geschadet. Gehen Sie und schlagen Sie nach, was Agnon in seinem Buch Schira geändert hat.« Er las mit großem Interesse auch den Aufsatz von Amona Jaron, der dieser neuen Ausgabe hinzugefügt war: »In derselben Zeit, als mein Vater Schira schrieb, arbeitete er auch an der Geschichte Ad olam. Nachdem Schira veröffentlicht worden war, fand Rafi Weiser vom Agnonarchiv eine handgeschriebene Manuskriptseite von Ad olam, auf der Agnon die Erzählung Ad olam mit Schira verknüpft hatte. Das heißt, in irgendeinem Stadium hatte er Ad olam aus Schira herausgelöst und zu einer eigenständigen Erzählung gemacht. In Ad olam kommt der Gelehrte in ein Leprakrankenhaus und verläßt es nie mehr.«
Michael war schockiert. Die Beschreibung, wie Manfred Herbst in das Leprakrankenhaus eingeliefert wurde, machte ihm angst. Er dachte daran, wie zufällig er dieses Kapitel entdeckt hatte, und wunderte sich, warum er Klein nicht weiter nach dem letzten Kapitel
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