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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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kleinen Bruder her. Friedrich hatte sich bei Mummy eingehakt und sein Feiertagsgesicht aufgesetzt.
    »Fröhliche Weihnachten!« wünschten wir uns gegenseitig, und alle taten so, als nähmen sie keinerlei Notiz von den Geschenken.
    »Was für ein schöner Baum!« sagte Queen Mum wie in jedem Jahr und schlug entzückt die Hände zusammen.
    Nach einigen zustimmenden »Aahs!« und »Oohs!«
    wollten sich die Kinder auf ihre Päckchen stürzen.
    »Halt!« Queen Mum hob gebieterisch die Hand. »Ich habe eine Überraschung für euch.«
    Sie ging rasch durch den Hausflur, öffnete die Eingangstür und kam mit drei Personen, die offenbar draußen gewartet hatten, ins Wohnzimmer zurück. Es waren Inderinnen, höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt, die mit gesenktem Blick den Raum betraten und sich scheu umsahen. Schnell zogen sie ihre Jacken aus und schlüpften aus Schuhen und Strümpfen. Dann drückten sie Queen Mum eine CD in die Hand und stellten sich in graziöser Pose nebeneinander auf. Sie trugen farbenprächtige Saris aus Seide, klirrenden Goldschmuck und bunte Bänder im schwarzglänzenden Haar.
    Staunend betrachtete ich die zarten, nackten Mädchenfüße auf dem Wohnzimmerteppich, die neben den kräftigen Beinen meiner Mutter noch winziger wirkten.
    »Heute ist Weihnachten«, begann Queen Mum und gab ihrer Stimme einen bedeutsamen Klang, »und eigentlich ist das ein Fest der Christen. Aber in Zeiten, in denen wieder Religionskriege stattfinden und religiöser Fanatismus viele Menschen ins Unglück stürzt, sollten wir uns ganz bewußt in religiöser Toleranz üben. Mein Geschenk an euch sind deshalb diese Hindi-Tänzerinnen, als Erinnerung daran, daß alle Religionen heilig sind und alle Götter gleichberechtigt.«
    Sie stoppte das Weihnachtsoratorium und legte die CD ein. Die klagenden Laute einer Sitar, begleitet von Schlaginstrumenten und monotonem Gesang, erklangen.
    Die Mädchen begannen ihren Tanz.
    Jonas stand mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund da. Lucy tat, als seien indische Tempeltänzerinnen in unserem Wohnzimmer das Normalste überhaupt.
    Friedrich lächelte nachsichtig.
    Tolle Idee, dachte ich. Echt tolle Idee. Aber warum hier bei mir, in meinem Haus, bei meiner Weihnachtsfeier, mit meiner Familie? Wütend sah ich zu Queen Mum, die zufrieden die Sprünge und Verrenkungen der Mädchen verfolgte, vermutlich in der Überzeugung, einen Beitrag für den Weltfrieden geleistet zu haben. Ich war außer mir.
    Mit welcher Dreistigkeit meine Mutter mir die Inszenierung des Weihnachtsabends aus der Hand nahm!
    Um ein Haar hätte ich türenknallend den Raum verlassen.
    Nach vier Musiknummern verbeugten sich die Mädchen artig, zogen Schuhe, Strümpfe und Jacken wieder an, nahmen die CD und verabschiedeten sich. Meine Mutter begleitete sie an die Tür und steckte der Ältesten einen Umschlag zu. Ich drückte der zweiten eine Dose mit Plätzchen und Süßigkeiten in die Hand, und schon waren die Heiligen Drei Königinnen in der Winternacht verschwunden.
    Erwartungsvoll drehte Queen Mum sich zu mir. Nie hegte sie Zweifel daran, das Richtige getan zu haben. Ich haßte sie für ihre Selbstgewißheit, am liebsten hätte ich sie vor die Tür gesetzt.
    »Vielen Dank, Mummy, das war eine wunderbare Überraschung«, flötete ich und umarmte sie.
    Sie strahlte. »Ich habe die Mädchen beim Dritte-Welt-Festival kennengelernt. Sind sie nicht bezaubernd?«
    »Doch, ganz bezaubernd, wirklich«, stimmte ich zu.
    Ruhig bleiben, Anna, sagte ich zu mir selbst.
    Übermorgen ist sie weg, und dann wird es mindestens Ostern bis zum nächsten Urtikaria-Schub.
    »Dürfen wir jetzt endlich die Geschenke auspacken?«
    Jonas’ flehender Blick war zum Steinerweichen.
    »Jetzt wird erst mal gesungen!« bestimmte Queen Mum und summte die ersten Töne von »Stille Nacht, heilige Nacht«. Heldenhaft sang Jonas mit, seine Augen fest auf die Pakete und Päckchen unter dem Baum geheftet.
    »Und jetzt lese ich euch die Weihnachtsgeschichte vor«, verkündete meine Mutter und griff nach dem Buch.
    Jonas’ Augen füllten sich mit Tränen. Ich war kurz vorm Explodieren. Da griff Friedrich ein.
    »Laß gut sein, Mummy«, bat er. »Die Kinder stehen nicht auf das ganze Brimborium, laß sie endlich ihre Geschenke auspacken.«
    Eingeschnappt knallte meine Mutter das Buch auf den Tisch. »Gut, wenn ihr gar keinen Wert auf Tradition legt, dann eben nicht. Wir haben Weihnachten immer so gefeiert, nicht wahr, Anna-Kind, und das war sehr schön

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