Am Anfang war der Seitensprung
und stimmungsvoll. Aber heutzutage geht es ja nur noch ums Materielle.«
Ich spürte, daß sich jetzt entscheiden würde, ob dieser Weihnachtsabend zum Fiasko abdriftete oder nicht.
Obwohl ich innerlich schäumte, riß ich mich mit aller Kraft zusammen.
»Ja, Mummy, es war immer sehr schön früher. Aber wir feiern eben ein bißchen anders, bitte akzeptiere das.«
Meine Stimme troff vor Sanftmut. Queen Mum zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
»Schon gut, ich bin ja nur Gast. Macht alles so, wie ihr es wollt.«
Der Rest des Abends verlief einigermaßen friedlich.
Der Weihnachtsmann hatte ganze Arbeit geleistet, und so lief Jonas verzückt zwischen einem Zauberkasten, einem Kassettenrecorder und einem lenkbaren Schlittenbob hin und her, blätterte in seinen neuen Bilderbüchern und überlegte, ob er zuerst »Der gestiefelte Kater« oder »Das kleine Gespenst« hören wollte. Das von ihm ebenfalls gewünschte Präparierbesteck für Vögel war zwar nicht mitgeliefert worden, aber der Hinweis auf bevorstehende Geburtstage und andere Festivitäten tröstete ihn. Ich hoffte, bis dahin würde seine Leidenschaft für ausgestopfte Flugtiere nachlassen.
Lucy hatte sich Kopfhörer übergestülpt und summte die neuesten Hits ihrer Lieblingsband mit. Liebevoll hielt sie ein Paar selten abscheulicher Turnschuhe mit Plateausohlen und eine viel zu große, neongrüne Windjacke im Arm, die sie sich dringend gewünscht hatte.
Friedrich und ich tauschten die obligatorischen Geschenkgutscheine, die wir nie einlösen würden, und Mummy freute sich, glaube ich, tatsächlich über einen prächtigen Bildband mit dem Titel »Das Wirken der Schamanen«.
Den hatte mir die letzte Wunderheilerin ans Herz gelegt, die erfolglos meine Allergie behandelt hatte.
Als endlich alle Geschenke ausgepackt waren, wollte ich nur noch eine riesige Gänsekeule verschlingen, mir gemeinsam mit meinem Ehemann einen gnädigen Rausch ansaufen und später unüberhörbar laut und heftig mit ihm schlafen.
Drei
»Kann ich reinkommen? Ich brauche dringend eine Dosis Familienleben, ich habe eine schwere Feiertags-depression!«
Es war Dörte, genannt Doro, die am nächsten Tag blaß und mit umschatteten Augen vor der Tür unseres Reihenhäuschens stand. Sie war Fotografin und lebte allein in einem Zwei-Zimmer-Appartment in der Stadt. Ihr Single-Dasein hatte sie schon lange satt, sie sehnte sich nach einer Familie, aber alle Männer, die sie kennenlernte, suchten nach kurzer Zeit das Weite. Sie hatte wohl so was im Blick. Doro hatte die kritische Schwelle der Dreißig überschritten und sah nun in jedem Kerl den potentiellen Erzeuger einer niedlichen Kinderschar. Ich hatte anfangs gedacht, ein paar Nachmittage im Kreise meiner Familie könnten sie von dieser fixen Idee abbringen, aber das Gegenteil war der Fall.
Sie drückte mir ein Päckchen in die Hand. »Merry Christmas«.
Neugierig riß ich das Papier weg. Es war das, was ich mir insgeheim erhofft hatte: Eine Dose dieses amerikanischen Wunderzeugs namens »Beautyline«. Sie hatte es mir schon mal zum Geburtstag geschenkt. Es handelte sich um eine geheimnisvolle Mischung aus Vitaminen und Mineralien, von denen man täglich zwei Löffel voll schlucken sollte. Die Wirkung war phantastisch; meine Haut und meine Haare waren damals so schön geworden wie sonst nur während der Schwangerschaft, ich war fit und energiegeladen gewesen; wenn ich mich recht entsinne, hatte ich sogar ein paar Pfund abgenommen.
Schon lange hatte ich gehofft, Doro würde mal wieder was mitbringen. Vor ein paar Wochen war sie dann in Los Angeles gewesen und hatte tatsächlich daran gedacht!
Überwältigt umarmte ich meine Freundin.
»Danke, Doro, das ist wirklich süß von dir!«
Ich fand sie unglaublich großzügig; ich wußte, daß eine Dose von dem Superzeug um die hundertfünfzig Mark kostet.
»Hattet ihr es schön gestern abend?« seufzte Doro mit Blick auf den Christbaum und das anheimelnde Chaos aus Geschenkpapierresten,
Plätzchentellern und
Weihnachtskarten, das unser Wohnzimmer schmückte.
»Wunderschön«, sagte ich. »Es war richtig harmonisch.
Obwohl meine Mutter da ist.«
»Queen Mum, wie nett! Ich finde sie toll, weißt du? Sie ist so … so …«
»… temperamentvoll und aktiv?« half ich aus.
»Genau. Ganz anders als meine Mutter. Die sitzt immer nur zu Hause und jammert. Deshalb fahre ich auch seit Jahren nicht mehr hin. Nicht mal zu Weihnachten.«
Offenbar hatten alle meine Freunde
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