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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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ersten Diäten probiert. Zuerst die »Atkins-Diät«, bei der man nur eiweißhaltige und fette Nahrungsmittel zu sich nimmt, was nicht nur die Gesundheit schädigt, sondern auch zu schweren seelischen Verwerfungen führt. Danach die »Enzym-Diät«, die aus dem überwiegenden Verzehr von exotischen Früchten wie Ananas, Mangos und Papayas besteht.
    Nach drei Tagen war mein Taschengeld alle, mein Magen knurrte, und ich kehrte zurück zu Mutters Vollwertküche. Aus Frust feierte ich heimliche Pizza- und Pommesorgien, stopfte Schokolade und Eiskrem in mich hinein.
    Ich hatte überall Verstecke, in denen ich Nahrungsmittel hortete. Immer wieder zog meine Mutter mit spitzen Fingern vertrocknete Kuchenstücke und angegraute Schokoladentafeln aus irgendwelchen Schubfächern hervor. Ich lebte in der ständigen Angst, nicht genug zu bekommen. In der Schulpause war ich die dankbare Abnehmerin verschmähter Pausenbrote, bei Geburtstagsparties schlang ich Süßigkeiten und Würstchen in mich rein, bis ich nicht mehr konnte.
    Mein gestörtes Verhältnis zum Essen hatte ich bis heute behalten. Ich aß aus Langeweile, aus Frust, aus Streß und aus Genuß. Es gab keinen Grund, nicht zu essen, aber jede Menge Gründe, es zu tun. Nach wie vor hortete ich Lebensmittel; meine Kühltruhe war immer prall gefüllt, meine Vorratsschränke platzten aus allen Nähten. Ich wollte sicher sein, daß immer alles im Haus war, worauf ich vielleicht Lust kriegen könnte. In Wahrheit aß ich dann gar nicht so übertrieben viel, ich brauchte nur die Gewißheit, daß ich könnte, wenn ich wollte. Deshalb war ich auch nicht wirklich dick, eher mollig. Zumindest versuchte ich, es so zu sehen.

    »Guten Tag, hier CALL YOUR BANK, mein Name ist Annabelle Schrader, was kann ich für Sie tun?« meldete ich mich freundlich, fast überschwenglich. Heute war mein erster Arbeitstag in der Bank nach zwei Wochen Urlaub, und ich hatte noch ein bißchen Schwierigkeiten mit dem angemessen professionellen Tonfall.
    Eine warme männliche Stimme mit leicht bayerischem Einschlag antwortete.

    »Grüß Gott, Hinterseer mein Name, ich möchte bitte eine Überweisung machen und meinen Kontostand erfahren.«
    Ich erfragte die Kontonummer und das Geheimwort.
    »Augenblick«, antwortete er. Ich wartete. Nichts passierte.
    »Wie ist denn jetzt ihr Geheimwort?« fragte ich nach.
    »Hab ich doch schon gesagt, ›Augenblick‹.«
    Ich lachte. So ein Scherzbold! Dann nahm ich die Daten für eine Überweisung ans Finanzamt auf.
    »Sie haben eine sehr angenehme Stimme«, sagte mein Gesprächspartner.
    »Danke, das hat man mir schon gesagt«, erwiderte ich und fühlte mich geschmeichelt. Inzwischen glaubte ich selbst, daß meine Stimme schön klang. Vermutlich war es kein Zufall, daß ich diesen Job bekommen hatte; meine abgebrochene Banklehre war sicher nicht der Grund gewesen. Drei Vormittage die Woche arbeitete ich hier, um mir ein bißchen Taschengeld zu verdienen, aber hauptsächlich, um unter die Leute zu kommen. Einige andere Hausfrauen und eine Menge Studenten saßen hier und nahmen ebenfalls Überweisungen, Daueraufträge und Scheckbestellungen entgegen. Es war nicht gerade mein Traumjob, aber besser als nichts.
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte ich Herrn Hinterseer, nachdem ich ihm seinen nicht gerade ermutigenden Kontostand von DM 24,83 mitgeteilt hatte.
    »Ja, Sie können mit mir essen gehen«, hörte ich überrascht. Ich mußte lachen.
    »Bei Ihrer Finanzlage könnten Sie mich höchstens zu McDonald’s einladen, und ich stehe nicht auf Hamburger.«

    »Das trifft sich gut, ich bin nämlich Münchener«, kalauerte er, »und über meine Finanzlage machen Sie sich mal keine Sorgen. Na, wie war’s?«
    So unverblümt hatte mich noch kein Mann angemacht.
    Wie reagierte man denn auf so was? Ich hatte so lange nicht mehr geflirtet, daß ich mich fühlte, als hätte mich jemand in einer Fremdsprache angesprochen, die ich nicht beherrschte. Ich bemühte mich um einen förmlichen Ton.
    »Ich muß jetzt Schluß machen. Private Gespräche sind mir nicht gestattet.«
    »Schade, Frau … wie war gleich der Name?«
    »Schrader«, sagte ich verwirrt und legte auf.
    Der Typ hatte ja Mut! Ich könnte schließlich Warzen haben und 120 Kilo wiegen, trotz meiner Stimme. Nur gut, daß ich eine solide, verheiratete Frau ohne die geringsten Ambitionen auf ein Abenteuer war, so würde mir erspart bleiben, bei einem »blind date« zu überprüfen, ob Herr Hinterseer

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