Am Anfang war die Nacht Musik
Falten? Hier zieht es, sagt er plötzlich. Resi, merkst du, wie es zieht?
Jetzt. Mesmer hält den Atem an. Wartet.
Nichts. Stille. Das Fräulein sagt nichts.
Vielleicht schüttelt sie den Kopf oder sie nickt. Bestimmt nickt sie, und die Eltern starren bestimmt auf den Vorhang. Den roten Samtvorhang, hinter dem sich alles Mögliche verbergen lässt, aber eben nicht jeder Luftzug.
Es spricht die Frau Hofsekretär.
Ja, hier zieht es. Aber eindeutig weniger als im Schab den Rüssel . Vielleicht könne man einen Rat bekommen … sie sei lernwillig, was die Bewegungen der Luft angehe.
Übrigens, er sei froh, dass er kein Arzt sei! Der Hofsekretär klingt barsch. Immerhin schüttle man in seiner Position den interessantesten Zeitgenossen die Hand. Den Genies der Zeit, sagt er. Denk an Salieri, sagt er. Ein so überaus berühmter Musiker und Komponist. Und unsere Resi lernt Singen bei ihm! Das ist doch nicht nichts, oder, Resi?
Mesmer drückt das glühende Ohr ans kalte Holz der Tür. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Der Hofsekretär gerät ins Schwärmen. Hofrat von Kempelen! Der hat unserer Tochter schon viel Gutes getan! Ein so großer Mann, stell dir vor, bringt unserer Tochter das Lesen bei. Mit Papptäfelchen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren, du etwa?
Ich, sagt die Mutter. Nein, woher denn. Ich bin eine Frau.
Die großen pestalozzi’schen Papptäfelchen! Und jetzt konstruiere er auch noch einen Automaten, der Schach spielen könne. Stell dir vor, sagt er, ein Automat, der sprechen kann. Eine Sensation! Auf so was käme man doch selber gar nicht. Oder wäre dir ein Automat, der sprechen kann, eingefallen?
Mir?, sagt sie. Nie im Leben.
Und nicht nur das, sagt er. Nebenbei entwickelt er auch noch eine Handdruckpresse für Blinde. Stell dir vor! Unsere Resi wird selbstständig schreiben können! Und der Metastasio! Der Dichter, der größte der Monarchie. Aber allen voran, weit voran natürlich, die Kaiserin.
Die Frau Hofsekretär seufzt. Von der Tochter kein Ton.
Dies sei ein so prächtiges Haus. Wenn sie dieses prächtige Haus sehe, sagt sie, finde sie es schlimm, dass Resi nicht mit angemessen festlicher Frisur hier ankomme. Nur, weil die hohe, festliche Perücke aus Paris nicht in die Kutsche passe.Warum denn die Kutschen nicht höher gebaut würden. Warum sich denn Generationen von Frauen mit eingezogenen Köpfen in Kutschen ducken oder aber mit Haaren wie zerdatschten Windbeuteln herumlaufen müssten. Ob sich je einer klargemacht habe, was das bedeute? Daran müsse doch gedacht werden. Diese verrückten Erfindungen seien ja gut und schön. Aber manchmal sei das Naheliegende das Dringlichste … Und die Frisur nicht das Unwesentlichste am Menschen. Schließlich sitze sie auf dem Kopf. Wo, wie er immer behaupte, der Verstand wohne.
Ja, aber, sagt der Hofsekretär. Verstand sitze an dieser Stelle nicht bei allen. Sie sei wieder mal ungenau in ihren Formulierungen.
Zuerst rede sie von Frauen und dann, gerade eben, habe sie Menschen gesagt. Wen sie denn nun eigentlich meine? Frauen seien ja höchstens die Hälfte aller Menschen, dann müsse sie das spezifizieren, sagt er.
Und inwieweit jene zu diesen dazuzurechnen seien, auch darüber sei man sich noch nicht einig, die Diskussionen in den gelehrten Kreisen seien, was er höre, diesbezüglich nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen.
Er, als Sohnloser, als ein mit Weib und Tochter gleichermaßen Gesegnetwie Betroffener, er müsse selbstverständlich, ja, natürlich schon glauben, dass …
Es folgt eine kurze Pause, und Mesmer will schon die Tür öffnen. Doch als die Mutter zur Tochter spricht, beschließt er, abzuwarten.
Keine Angst, Resi, sagt sie, auch wenn ihre Frisur heute nicht ganz so schmuck sei, so sei sie doch schmuck genug. DiePerücke sei zwar nicht aus Paris, doch dafür sei sie neu. Gerade erst gemacht vom kaiserlich-königlichen Perückenmacher. Mit frischem Haar von der Frankfurter Haarmesse , dem, wie man wisse, besten weit und breit. Dem auf allen Schlachtfeldern des Reichs frisch gesammelten … Und oben drauf, die hübsche Haube, à la Matignon , die sei tatsächlich aus Paris, der Stadt aller Städte, und die mache sowieso alles wett.
Und, Resi, fügt sie hinzu, damit du auch weißt, wo du bist: Es steht nicht nur diese wunderbare Büste vom Doktor neben dem Kamin, wo er aussieht wie ein junger Gott, es hängt auch ein riesiger Spiegel an der Wand, in dem ich dich jetzt sehe, von hinten, in deinem
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