Am Anfang war die Nacht Musik
seinen violetten Seidenkittel an, dazu die violetten Hosen. Und natürlich schneeweiße Strümpfe. Die Dämmerung brachte das Violett erst richtig zum Leuchten. Eine königliche Farbe. Wenn er den Morgen so anbrechen sah, fühlte er sich, als käme er aus großer Höhe auf die Erde herab. Je heller es wurde, desto irdischer fühlte er sich.
Kurz nach zehn klopfte Kaline.
Sie habe alles Verlangte pflichtgemäß erledigt.
Warum teilte sie ihm das mit? Wollte sie ihn beruhigen? Er verstand sie nicht. Er war sich nie sicher, ob ihr Verhalten besonders höflich oder genau das (dann allerdings nichtnachweisbare) Gegenteil war. Aber, fiel ihm ein, war es nicht die eigentliche Aufgabe der Wissenschaft, das Vorhandensein des Gegenteils des Nachweisbaren nachzuweisen.
Es seien schon einige Patienten von außerhalb eingetroffen, sagte sie. Die säßen mit den Hausgästen am Gesundheitszuber. Jungfer Ossine übrigens habe sich nicht abhalten lassen. Sie sei sogar als Erste im Saal gewesen. Noch vor den Musikern.
In diesem Moment hört er Riedinger die Geige stimmen.
Um sie loszuwerden, bittet er Kaline, den Hund ins Freie zu lassen.
Er schließt die Augen. Ein Haydn-Adagio klingt an. Alles bestens. Hossitzky setzt mit dem Waldhorn ein.
Als der Hund anschlägt, öffnet Mesmer die Augen. Vor dem Fenster seines Laboratoriums sieht er die Paradis’sche Kutsche vorfahren. In der Mitte des Hofes anhalten. Der bellende, wedelnde Hund trabt zur Kutsche hin.
Er sieht den Herrn Hofsekretär aus dem Wagen springen und der Hundebegrüßung ausweichen. Die Hände vor der Hundeschnauze hochreißen. Er sieht die Füße des Hofsekretärs ins Rutschen kommen und sich fangen. Gerade noch.
Er ruft etwas. Flucht er? Oder warnt er seine Frau. Es sei glatt.
Jetzt steigt die Frau Hofsekretär aus der Kutsche und hilft dem Kind heraus. Schützend hält sie die Hand über die Frisur der Tochter.
Die drei, das hohe Kind in der Mitte, gehen aufs Haus zu. Das Mädchen deutlich kleiner als gestern, und dennoch. Höher als die Eltern. Der Hund stolziert ihnen voran.
Die Türglocke. Er wartet. Warum macht keiner auf. Es läutet wieder. Wo ist Kaline?
Als er losläuft, hat seine Frau die drei eingelassen und in den Salon geführt. Warum ist sie schon auf ?
Er bleibt vor der Salontür stehen. Lauscht den perfekten Höflichkeiten seiner Frau, die ihn nicht täuschen kann. Ihre Stimme widerspricht ihren Worten.
Sie bittet die drei, Platz zu nehmen. Die Stimme zittert. Sie kommt heraus, kochend vor Wut.
Ob er Kaline gesehen habe. Dieses Miststück! Das sei das letzte Mal. Immer wenn man sie brauche, sei sie vom Erdboden verschluckt. Das sei Prinzip.
Er sagt, sie habe recht, er sehe es auch so. Auch wenn er bezweifelt, dass Kaline überhaupt ein Prinzip hat. Sie ist wie die meisten: nichts als gestautes Leben, das immer wieder aufs Jetzt trifft und dabei Funken schlägt.
Er sagt Sätze, um seine Frau zu besänftigen. Das Gefühl, sie brenne andauernd. Seine Frau, ein schlafender Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Und er, ein Tröpfchen Tau Tag für Tag am steil wuchernden Abhang. Mesmer hat dem Vulkan eine Abkochung aus Hopfenblüten und Baldrianwurzel verordnet, dreimal täglich.
Anna lässt ihn stehen. Rasend nach Kaline. Mesmer weiß, wenn er jetzt den Salon betritt, bleibt das Fräulein stumm wie tags zuvor.
Er nutzt seine Chance, lauscht vor der Tür. Ob und was und wie sie mit ihren Eltern spricht.
Es gibt Ärzte, die messen die Schwere einer Erkrankung, indem sie einen Tropfen Öl in den Urin des Kranken gießen.Schwimmt der Tropfen oben, wird der Patient bald gesund. Hängt der Tropfen in der Mitte, wird es eine lange Krankheit. Sinkt er auf Grund, steht der Tod vor der Tür. Mesmer lässt sich lieber vom Klang der Stimme erzählen, was mit dem Patienten los ist. Wozu besitzt er ein derart geschultes Gehör? Und die Stimme sieht er als das, was vom Baum über der Erde wächst, und seine Wurzeln sind die sich im ganzen Körper verzweigenden Nervenbahnen. Und darum geht es ihm doch. Um die Nerven und das Nervenkostüm.
Wer kann in fremden Häusern schon still sitzen. Der Hofsekretär geht herum und klopft die Wände ab. Er lobt den soliden Bau.
Arzt müsste man sein, hört er die Frau Hofsekretär. Ihre in die Bewunderung gesteigerte Stimme. Schau mal die Büste, sagt sie. Das ist doch der Doktor selber. Sieht ihm sogar ähnlich, oder.
Nur, dass die Büste anscheinend weniger Sorgen hat, der Hofsekretär lacht. Oder siehst du
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