Am Anfang war die Nacht Musik
läutete nur Jungfer Ossine. (Und auch das erst, seit sie angefangen hatte, ihm aus ihrem früheren Leben zu erzählen. In dem Kopfschmerzen praktisch nicht vorgekommen waren.)
Es war kurz nach vier. Er fand sie aufgelöst im zerwühlten Bett, mit der Faust gegen ihren Kopf hämmernd.
Den Schmerz halte sie nicht aus, sagte sie. Der Teufel habe ihr heute Nacht seine Hörner ins Auge gebohrt. Hier, schräg durch den Kopf. Bei diesen Worten verkrampfte sich ihr Oberkörper, und sie übergab sich vor seine Füße, dass es spritzte. Er tat einen Schritt rückwärts.
Er hatte ihr ein Tuch gereicht, mit dem sie ihr Gesicht abtupfte. Er sagte, er werde einen Magneten holen. Dann hatte er ihre Hand gehalten und die andere auf ihren Kopf gelegt. Sofort behauptete sie, es ginge ihr besser. Er solle sie jetzt nicht allein lassen. Sie sei andauernd allein. Dann lege ihr der Teufel die Hand auf. Keine zwanzig Herzschläge später schlief sie und merkte nicht, wie sich Mesmer samt seiner Hand davonschlich. Den Magnet hatte er nicht geholt. Der war offenbar nicht nötig gewesen. Er verstand zwar nicht, warum, aber umso besser.
Er legte sich nicht mehr ins Bett. Ging nicht ins Laboratorium. Er wartete. Warten heißt, die Zeit füllen mit Gedanken an das, was er hätte tun können. Wäre jetzt nicht früher Morgen und Messerschmidt ein Nachtmensch. Und wenn man von hier nach dort fliegen könnte: zu Messerschmidts gar nicht weit entferntem Atelier in der Landstraße. Die neuen Skulpturen besichtigen. Die überall Entsetzen auslösten. Dem Freund gut zureden, er solle sich nicht einschüchtern lassen. Und sich selbst gut zureden lassen. Ihn zum Bleiben überreden. Dabei frisch gebrühten schwarzen Kaffee trinken. Die Wiener seien nicht so schlimm. Man dürfe sie nur nicht so ernst nehmen wie sie sich selbst.
Bis er die vertrauten Kaline-Geräusche vernahm. Die Feuerzange, die gegen den Ofen geschlagen, der Schlackerest, der ausgekratzt und in einen Kessel gefegt wurde. Wenn er Kalines Gesicht vor sich sah, kamen ihm diese Geräusche zu derb vor. Er wünschte ihr einen Guten Morgen und trug ihr auf, Jungfer Ossines Zimmer zu reinigen. Die brauche Ruhe und werde heute nicht am magnetischen Zuber teilnehmen. Dafür solle Kaline sorgen.
Verstanden, sagte Kaline angewidert. Es sei aber viel zu früh für Derartiges. Erst seien Feuer und Licht dran, und dann das Frühstück. Oder wolle er alles durcheinanderbringen?
So würde sie mit seiner Frau nicht sprechen. Sie weiß, dass meine Frau ihr das nicht gestatten würde, dachte er. Und sagte: Keineswegs wolle er etwas durcheinanderbringen. Mit einer Decke um die Schultern zog er sich in den Behandlungssaal zurück.
Er klappte den Deckel des magnetischen Zubers hoch. Er prüfte den Wasserstand im Becken, füllte etwas Wasser und Eisenspäne nach, richtete die Flaschen am Grund des Zubers sternförmig aus und schloss den Deckel wieder. Die Metallstäbe, die schief in ihren Halterungen hingen, nahm er heraus und hängte sie sorgfältig und gerade zurück. Zum Musizieren zu früh, zum Schlafen zu spät. Er wollte wenigstens die Ruhe des Morgens nutzen. Auf dem Weg zum Laboratorium gesellte sich der Hund zu ihm. Er sah schon wieder aus, als lache er. Kein Wunder. Er ließ sich von nichts und niemandem den Schlaf rauben. Wem das gelingt, dachte er, der ist beneidenswert. Er hätte gern eine Speichelprobe von seinem Hund genommen und sie unterm Mikroskop angeschaut. Doch dasLicht reichte noch nicht aus. Er hätte gern diesen kleinen Lebewesen zugesehen, die er so zahlreich schon in allen möglichen Flüssigkeiten und Körpersekreten entdeckt hatte, zuallererst in seinem eigenen Lebenssaft. Die so gefährlich fröhlich darin herumschwammen, als seien sie voll und ganz mit sich im Reinen. Und er hatte versucht, die von Leeuwenhoek beschriebenen Spermawürmer ausfindig zu machen. Darin die schon vorgeformten Kinder. Vergeblich. Andere hatten mehr gefunden. Im eigenen sah er nur, dass sich etwas bewegte. Lag das nun an der Qualität des Mikroskops oder an der Qualität seiner Säfte? Oder war seine Wahrnehmung fehlerhaft? Gern hätte er es genauer gewusst. Ob man seine Spermawürmer für gut genug zur Zeugung befunden hätte.
Wenn Jungfer Ossine wüsste, wie wenig allein wir sind, dachte er.
Mikroskopische Experimente packten ihn fast so sehr wie das Musizieren. Nur: Nach der Musik fühlte er sich entspannt. Wie nach einem ausgedehnten Schlaf. Allmählich wurde es hell. Er wusch sich, zog
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