Am Anfang war die Nacht Musik
was er sehe, nicht sein könne, sich selbst müsse er doch glauben.
Sie folgen Mesmer hinüber in den Patienten-Trakt. Um der Patienten willen, die am Gesundheitszuber sitzen, hat er um Schweigen gebeten. Doch sie können das Flüstern nicht lassen, der Herr Hofsekretär und seine Frau. Die Tochter immer zwischen den beiden. Sie hören nicht auf. Sie kommen Mesmer vor wie die Gänse draußen im Stall, die sich und einander und alles andere mit ihrem Schnattern abtasten.
Im Behandlungssaal lassen Riedinger und Hossitzky inzwischen den letzten Satz der Haydn-Sonate anklingen. Mesmer stellt sich neben sie. Die Patienten wiegen sich wie ein einziger Organismus in einer unterwasserhaften Bewegung in den Geigen- und Waldhorntönen. Was bringen Worte, Erklärungen? Was brächte es, wenn er sagte, sie seien angeschlossen an ein magnetisches Fluidum? Sie seien durchströmt? Dasheilsame Fluidum teile sich durch die Stäbe und Seile mit und werde auch von einem zum Nächsten weitergeleitet. Und die Musik verstärke den Fluss noch. Anders als Worte. Worte reizen zu Worten. Zu weiter nichts. Kein Moment lässt sich durch Worte beweisen. Gar nichts lässt sich beweisen. Nicht mit Buchstaben, nicht mit Sätzen, Traktaten.
Resi, hört er die Frau Hofsekretär flüstern, hier ist es ziemlich dunkel. Wahrscheinlich sehen wir auch nicht viel mehr als du.
Aber genug, um eine Gruppe kranker Männer und Frauen zu erkennen. Und ein kleiner Junge sitzt zwischen ihnen.
Alle sitzen um einen Holzzuber herum. Der ist mit einer Holzplatte bedeckt. Vor jedem Patienten befinde sich eine Öffnung in der Platte, und daraus rage jeweils ein Metallstab, den man herausziehen könne, da er an einem Seil hänge. In der oberen Hälfte seien die Stäbe rechtwinklig gebogen.
Der kleine Junge habe den Stab auf seine Schläfe gerichtet, flüstert sie. Und ich sehe eine Frau, eine schwer kranke Frau. Viel kränker als du. Die sei so zusammengesunken. Die würde kippen, hätte sie nicht die Stirn auf den Stab gestützt. Das Seil habe sie zusätzlich noch um den Hals geschlungen. Wie eine Erhängte. Und ihre Augen seien geschlossen.
Alle, nicht nur sie, haben geschlossene Augen, unterbricht der Hofsekretär. Und alle halten einander an den Händen, fährt er fort. Wie du’s gern hast, Resi. Und, Resi, sagt er, du weißt, ich hasse Krankenräume. Ich hasse sie wie die Pest. Sie sind mir unerträglich.
Aber hier, und mit der schönen Musik, werde ihm bis jetzt nicht mal übel. Ein gutes Zeichen, Resi, sagt er.
Nicht nur gut, sagt seine Frau, beeindruckend sei dieses Dämmern in einem Raum aus violettem Samt. Und die vielen Spiegel überall. Höchst beeindruckend. Sogar der Doktor in verwandten Farben gekleidet. Wenn du nur wüsstest, was Farben sind. Farben sind so … so geschmackvoll. Wie alles in diesem Haus, sagt sie, mit einem Blick auf Mesmer.
Ein lautes Seufzen aus dem Kreis der Patienten lässt sie verstummen. Jemand atmet geräuschvoll, immer heftiger, schneller. Mesmer, der ahnt, was bevorsteht, gibt den Musikern ein Zeichen. Als habe sich ein Ventil geöffnet, beginnt Jungfer Ossine zu schreien. Fräulein Paradis zuckt, fällt in sich zusammen, reißt die hervorquellenden Augen auf, während Jungfer Ossine schreit und schreit und sich in die Höhe reckt, starr wie ein Brett.
Riedinger und Hossitzky wissen, was sie zu tun haben. Sie werfen ihre Instrumente hin, lösen die Jungfer aus den Seilen und tragen die Starre, Schreiende hinaus. Mesmer sieht noch, wie das Fräulein Paradis am ganzen Körper zu zucken beginnt. Sie ist empfänglich. Unendlich empfänglich. Mesmer, der ihre Empfänglichkeit gern studiert hätte, läuft zur Tür, nah am Fräulein vorbei, deren rechter Arm die Frau Hofsekretär umschlingt. Den linken Arm hat der Hofsekretär gepackt und rüttelt daran. Die Eltern flüstern auf ihre Tochter ein. Erfolglos.
Die Frau hat schlecht geträumt, Resi, weiter nichts. Alles sei gut. Man habe den Schreihals gepackt, schreit die Frau Hofsekretär, und hinausgetragen. Damit das Luder sich beruhige. Der Doktor eilt jetzt zu ihr. Alles sei gut, sagen die Eltern mit zitternden Stimmen. Und zitternden Knien.
Jungfer Ossine wählt die denkbar schlechtesten Momente für ihre Krisen.
Es ist gelungen. Ossine schläft. Im Krisenzimmer, wohin man sie gebracht hat. Auf der Matratze. Mesmer hat Magnete an ihre Füßen gebunden. Und je einen auf Bauch und Brust. Erst hat sie noch lauter geschrien, dann wurde sie leiser und begann zu stöhnen.
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