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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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süßen Kleid, das ist ein entzückender Anblick! Und daneben hängen drei Bilder in schmucken Rahmen. Auf dem einen ist Doktor Mesmer zu sehen, und auf dem anderen seine elegante Frau … die uns gerade eingelassen hat.
    Das sei doch wohl eher seine Mutter!, unterbricht der Hofsekretär.
    Und das … in der Mitte, fährt sie fort, ihr Sohn.
    Der Doktor hat keinen Sohn, sagt der Vater. Die Mutter habe da etwas falsch verstanden.
    Wer denn der Junge seiner Meinung nach sein solle?
    Resi, er wendet sich an die Tochter. Der Doktor hat doch von keinem Sohn geredet, oder?
    Mesmer drückt nun wieder sein Ohr an die Tür und hält die Luft an. Einen langen Moment lang. Alle warten. Versucht sie, sich zu erinnern? Jetzt. Sie spricht, sie spricht! Und das Erste, was sie sagt: seinen Namen.
    Mesmer, sagt sie.
    Zart klingt die Stimme. Schwach und leise und zerbrechlich. Sie fließt ohne Kraft, aber fließt. Und ist wach. Und melodisch. Ihre Stimme, wenn sie spricht, klingt nicht schwer krank. Ihre Stimme ist ein an der Oberfläche schwimmender Tropfen Öl, nein, ein darüber schwebender. Beste Aussichten. Und sie spricht weiter!
    Mesmer, sagt sie, habe nicht von einem Sohn gesprochen. Aber wenn einer nicht von einem Sohn spreche, müsse das ja nicht heißen, dass keiner da sei.
    Das nenne er eine logische Aussage. Mesmer hört, wie der Hofrat sich auf die Schenkel klatscht. Prima, mein Kind. Was wärst du doch ein prächtiger Sohn!
    Mesmer findet, ihre Stimme klingt gedämpft, ein bisschen wie in Wolltuch gehüllt. Wie sie überhaupt etwas Verpacktes hat. Etwas Eingewickeltes. Von ihren Eltern eingepackt. Wie eine Torte auf Reisen …, notiert er. Das eingepackt, nicht die Torte. Und dass er zuversichtlich ist. Dass er sie auspacken wird. In Fluss bringen. Er sieht es, hört es, schmeckt es sogar.
    Schau mal. Die Frau Hofsekretär klingt überrascht. Die Büste stamme von demselben Künstler, der auch die Kaiserin porträtiert habe. Sie erkenne die Initialen: FXM.
    Mesmer will gerade die Tür öffnen, doch er hält inne, als die Stimme des Hofsekretärs plötzlich explodiert.
    Länger bleibe er nicht. Dafür sei er nicht zum Sekretär in der Kaiserlichen Kommerzhofstelle ernannt worden, dass man ihn hier herumhängen lasse. Wenn der Quacksalber nicht gleich komme, werde er in die Kutsche steigen.
    Und die Frau Hofsekretär: Ob er nicht einmal was für einen andern tun wolle.
    Für ihn tue doch auch keiner was. Dabei habe er Wichtigeres zu …
    Mesmer wartet einen Moment, dann überwindet er sich und öffnet mit einem Ruck die Tür.

    Da ist er ja, sagt der Hofsekretär wütend. Wird auch Zeit. Er wolle seine Tochter hier nicht im Ungewissen lassen. Er wolle die Magnete sehen. Wolle endlich etwas über die neue Methode erfahren.
    Nichts schlimmer als das. Sobald Mesmer erklären soll, was er tut, wird er missverstanden.
    Er sei kein Freund von Erklärungen. Er werde stattdessen eine kleine Demonstration geben. Als Antwort auf alle offenen Fragen.
    Sehr schön. Der Hofsekretär lächelt. Das Mädchen beginnt zu zittern und krallt sich in den Arm der Mutter. Schon gut, Resi. Die Mutter löst einen Finger nach dem anderen ab, und einer um den anderen krallt sich sofort wieder fest.
    Mesmer zieht einen langen schwarzen Rohrstock hinterm Vorhang hervor und stellt sich neben das Mädchen.
    Hier ist meine Hand, sagt er und legt sie ihr auf den Arm.
    In diesem Moment gelingt es der Mutter, sich zu lösen. Das Mädchen lässt sich drei Schritte zu einem Stuhl hinführen.
    Eine Stelle, von der aus Mesmer sie gut in dem großen Spiegel sehen kann. Mesmer bittet sie, sich zu setzen.
    Seine Hand wandert nun von ihrem Arm zu ihrem Hals hinauf. Bleibt dort liegen. Mit der anderen hält und hebt er das spanische Rohr, richtet es auf das Spiegelbild des Fräuleins. Sehr langsam bewegt er es von links nach rechts.
    Der Herr Hofsekretär und seine Frau schauen wie gebannt auf das Fräulein Tochter, das langsam den Kopf hin und her bewegt. Sobald Mesmer das Rohr kreisen lässt, kreist auch ihr Kopf.
    Die Frau Hofsekretär schreit erschrocken, zupft ihren Mann am Ärmel und weist ihn auf die synchrone Bewegung hin.
    Höchst interessant, sagt der Hofsekretär. Äußerst merkwürdig. So etwas habe er noch nie gesehen. Ob sie es auch sehe, sagt er zu seiner Frau.
    Sie sehe es, weil er es sehe. Und sonst würde sie es auch gar nicht glauben.
    Darum gehe es nicht, sagt er, ob du es glaubst oder nicht. Tatsache sei, er sehe, was er sehe. Und auch wenn,

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