Am Anfang war die Nacht Musik
Mäulern.
Die Herrschaften seien sofort bereit, hört er die Mädchenstimme.
Und er, er dankt ihr, dass sie ihn hereingeführt hat. Und auf ihren sich senkenden Blick, zur Eile bestehe keinerlei Grund, so solle sie es bitte schön
weitergeben.
Kaum ist die Kleine zur Tür hinaus, sitzt er am Instrument.
Die rechte Hand lässt er liegen auf seinem Oberschenkel, mit der Linken schlägt er die Töne an. Wie kernig sie klingen indiesem Raum,
bevor sie ineinander verschwimmen. Der leichte Anschlag fällt ihm auf. Keine Frage, eine Wiener Mechanik. Der kleine Mozart hätte seine helle Freude
dran. Und an seinem Motiv, ob er daran auch Freude hätte? G-B-E-D-A. Ein ruhiger Fluss. Zieht ihn mit, lässt ihn nicht los. Er wiederholt, variiert
Tonlängen und Rhythmus, fügt Pausen ein und einen Triller. Und begegnet dem Nachklang der Töne mit Tönen. Nach einer Weile nimmt er seine Stimme
dazu. Fängt an, die Änderungen zu summen, eh er sie auf dem Klavier anschlägt.
Ein Räuspern von der Tür. Der Herr Hofsekretär. Hinter ihm Frau Hofsekretär. Eine schlanke Frau mit Haube. Und hinter ihr etwas Undefinierbares.
Ah, der Herr Hofsekretär geht auf ihn zu. Er sehe, sagt er, den Richtigen im richtigen Haus. Das klinge nicht schlecht. Er wisse, wie schwierig
Klavierspielen sei, aus eigener Erfahrung selbstverständlich. Wie viele Menschen spielten Klavier und brächten es ja auch ganz hübsch zum Klingen … Er
verbeugt sich, und Mesmer bemüht sich, seine Verbeugung möglichst zeitgleich und symmetrisch auszuführen. Kein Mann soll den andern beim Verbeugen
beobachten können.
Herr Paradis …
Herr von …, sagt Paradis.
Das nun noch nicht, platzt Mesmer dazwischen, dass der andere zur Wiederholung gezwungen ist.
Herr von Paradis, sagt er.
Jäh hat er sich aufgerichtet. Und wie streng er plötzlich klingt, der Herr Hofsekretär. Dieser Klang hilft der Frau Hofsekretär offenbar, einzutreten,
und was sie hinter sich hervorzaubert, entpuppt sich als die Tochter.
Der erste Eindruck zählt. Das, was ihn trifft wie ein Blitz. So heftig, dass er kurz die Augen schließen muss. Und dann überschlägt
sich sein Kopf im Versuch, aus allem das Wichtige, Richtige herauszufiltern. Sich alles zu merken. Das erste Bild der Patientin. Maßstab für jede
Veränderung, für alles, was kommt, kommen wird müssen, wird kommen müssen. Nein. Er sammelt sich und was er empfindet. Er wird es aufschreiben. Aus Angst,
es zu vergessen.
Der erste Eindruck: Erschrecken, als er sie sieht. Und er hat schon viel gesehen. Und er weiß genug, um zu wissen, dass er nicht zimperlich ist. Aber
so etwas nie.
Ihre Augen sind krampfhaft geschlossen. Während der Vater, an der Frau Hofsekretär vorbei, wie durch sie hindurch, die Tochter greift und sie, die
Greifhand um ihr Handgelenk geschlagen, einmal im Halbkreis um sich herumschwenkt.
Sie ist bleich, mit Wachs geschminktes Wachs. Verkleidete Verkleidung. Eine Puppe. Jetzt schmeckt er den Atem der Puppe. Dabei wollte er, was, gerade
noch sagen? Dieser dumpfe süße Geschmack in seinem Mund. Der Puder der Puppe auf seiner Zunge?
Ihre Haarpracht türmt sich vor ihm auf. Ein Haargebirge. Ein Pudergespenst. Eine alte Perücke, die sie alle überragt.
Die Kleine ist die Größte im Zimmer. Sie ist größer als die Vase in der Ecke, die fast so groß ist wie ein Soldat. Größer als der Ofen. Ein monströses
Kind. Mit tiefem Dekolleté. Nein, kein Kind.
Er habe gehört, sagt der Hofsekretär, dass Mesmer sich nach der Tochter erkundigt habe. Es habe ihn gefreut, dass ein Arzt nach der Kranken
fragt. Darauf habe er, der Vater, sichebenfalls erkundigt nach diesem Arzt. Ich war auf Sie aus und Sie auf mein Kind.
Er lacht, er sagt es nicht, er lacht es.
In ihre Locken sind Bänder und Schleifchen geflochten. Und Glöckchen. Die führen rings herum wie eine Prozession.
Mesmer umkreist sie wie einen Planeten. Was ist falsch? Der Planet muss um den Stern kreisen. Und sich drehen dabei. Der Stern will die Seiten
sehen. Alle. Auch die dunkelsten.
Der Vater sagt, er habe über Mesmer so viele verschiedene Stimmen vernommen, und zugegeben, nicht immer nur fürsprechende. Und da
wolle er nun betonen, dass er selbst ein unabhängiger Kopf sei. Überzeugt von Mesmers Seriosität und Gelehrsamkeit. Und offen für Methoden. Seine neue
Methode. Die Magnete. Wer eine kranke Tochter hat, darf nicht auf die Leute hören. Kann Mesmer sich vorstellen, was man durchzumachen hat
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