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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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mit einem
     kranken Kind?
    In ihrem Haar sind künstliche Bäume untergebracht, und ausgestopfte Vögel in kleinen Nestern, brütend. Womöglich hat man den Vögeln echte Eier
     untergeschoben? Das traut er den Eltern zu.
    Der dramatische Faltenwurf ihres himmlischen Kleides, die Risse in der pudrig ausgetrockneten Maske, die blassblau gesprenkelten Eierschalen in ihrem
     Haar. Nichts als eine Inszenierung des Wahren im Wirklichen, denkt er. Und natürlich alles gut gemeint.
    Sie werden ihr helfen. Der Hofsekretär übergibt ihm das Handgelenk der Mädchenhand. Schlaff ist sie und kalt wie ein ersticktes Vögelchen in Mesmers
     Hand.
    Ihm sei, sagt der Hofsekretär, schon die geringste Veränderung willkommen. Denn alles ist besser als das. Er zeigt mit dem Finger auf
     sie. Er schiebt sie Richtung Tisch.
    Wie lebendig die künstlichen Locken auf ihrem Kopf wippen. Ihr selbst scheint so alles Elastische zu fehlen. Jede ihrer Bewegungen ist wie von außen
     bewirkt. Ihr Gesicht ein platt gedrücktes, aufgewühltes, wieder platt gedrücktes und verlassenes Nest. Ein Spiegelbild der Hand, die er noch immer
     hält.
    Er wolle ehrlich sein, hört er den Hofsekretär. Er habe das Kind schon vielen und berühmten Ärzten vorgestellt. Herrn Dr. Anton von Störck, den er ja
     auch kenne … und Dr. Barth, dem berühmten Starstecher. Beide haben sie für unheilbar erklärt. Beim Klang der Namen sind Mesmer und das Mädchen
     zusammengezuckt. Jetzt, als der Vater die Stimme hebt, verzieht sie den Mund.
    Keiner habe helfen können.
    Das wundere ihn nicht, sagt Mesmer und sieht, wie sich ihr Kopf in seine Richtung zu drehen beginnt.
    Sie sei so blind wie zuvor, sagt der Vater.
    Der Mädchenmund, der plötzlich an den Winkeln beflügelt zu zittern beginnt. Ein Spiel mit einem Lächeln. Was will er denn? Will er sich losmachen von
     dem Gesicht? Will er weg?
    Und schauen Sie, sagt der Vater, ihre Augen …
    Der Sekretär hält noch immer ihren Arm. Mesmer die Hand. Jetzt mit beiden Händen. Er spürt, wie die Mädchenhand zu zucken beginnt.
    Als ob die Augen ausbrechen wollten aus ihren Höhlen, sagt der Vater. Wenn das so weitergeht, sagt er, kullern sie mir bald vor die Füße. So eine
     Musik-Begabung und dann das!Eine Gemeinheit. Sie hat das Zeug zur professionellen Laufbahn. In ihrem Blut sind verschiedene Linien
     vereint, musikalische.
    Mein Vater, meldet die Mutter leise, war Ballettmeister, Hofballettmeister …
    Bitte …, sagt der Hofsekretär, legt den Zeigefinger andeutungsweise auf die Lippen.
    Blind oder nicht …, fährt er fort. Blind oder nicht.
    Sie war nicht immer …, versucht seine Frau es erneut.
    Diesmal hebt ihr Mann seine Stimme um zwei Stufen auf einmal.
    Seine Tochter habe für die Kaiserin persönlich gespielt. Gespielt und gesungen. Anlass: das Dankfest für den im Jahr 57 bei Planian erfochtenen
     Sieg. In der Augustiner Barfüßer Hofkirche. Von diesem sagenhaften Stabat Mater müsse er ja nicht erzählen. Davon habe er ja wohl gehört. Jeder
     habe davon gehört, die ganze Stadt. Jeder in Wien, fügt er hinzu, der sie liebt, die Kaiserin. Und die Musik. Die Kaiserin, tief berührt. Sie habe der
     Resi eine Gnadenpension bewilligt. Stellen Sie sich vor, sagt er, eine Gnadenpension aus dem Kammerbeutel der Kaiserin!
    So etwas bekomme nicht jeder, sagt Mesmer.
    Zweihundert Florin, lebenslang, flüstert der Vater. Und mit Ihrer Hilfe, sagt er, wird alles gut. Ob er schon sagen könne, wie lange man etwa rechnen
     müsse … und die Kosten …
    Das könne er nicht sagen, sagt Mesmer. Er habe die Tochter ja noch kaum gesehen.
    Hier sitzt sie doch, unterbricht die Mutter.
    Ob der Doktor überhaupt wisse, sagt die Mutter, dass Resi erst in ihrem dritten Lebensjahr erblindet sei. Über Nacht.
    Sie solle doch, fährt der Vater sie an, den Doktor ausreden lassen. Bitte, sagt er, bitte sprechen Sie, sagen Sie, was Sie sagen wollten.
    Mesmer sagt, über diese eine Nacht wolle er gern mehr erfahren.
    In jener Nacht habe es einen unerklärlichen Tumult gegeben im Haus. Ein Albtraum, sagt der Hofsekretär, das Haus. Mitsamt dem Personal, das zu Träumen
     neigt. Ein einziger Albtraum. Diebe und Mörder. Diebe, die zu Mördern wurden. So träumten sie es und schrien es laut heraus aus ihren eignen Träumen:
     Diebe, Mörder. Natürlich! Stroh in den Wänden, Stroh in den Köpfen! Ein Albtraum. Von dem Geschrei sei das Haus wach geworden. Alle seien aufgewacht. Und
     panisch im Dunkel umhergeirrt. Im Dunkel des

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