Am Anfang war die Nacht Musik
fürs Erste sei so ein Tisch zwischen ihnen genau das Richtige.
Ihre Sonne, sagte sie über den Tisch, sei die Musik, die sie höre, bevor sie den ersten Ton anschlage. Ihn habe sie nicht bemerkt.
Da sei er ja froh. Dass sie ihn nicht bemerkt habe.
Warum er so leise spreche?
Er spreche nicht leise.
Nein?
Nein, hatte er noch leiser erwidert.
Er habe doch allen Grund zur Freude. Sie müsse doch ihm gratulieren.
Wozu?
Zu seiner Schrift.
Welche Schrift?
Riedinger habe ihr draus vorgelesen. Aus diesem Büchlein habe sie zum ersten Mal seine Theorie verstanden, sagte sie.
Welches Buch?
Das über seine Arbeit. Und was für eine Idee, einen weiblichen Namen zu wählen. Bitte ihr nachzusehen, wenn sie jetzt den genauen Titel gerade nicht im Kopf habe … irgendetwas mit Magnetisch natürlich und Wahrheit , sagte sie.
Welche Wahrheit?
Na, Madame Henriette de Barbe-bleu , sagte sie und spürte ihn schon wieder zusammenzucken.
Wovon sie rede?
Gedruckt in Straßburg, gebunden in edelstes, blau in blau marmoriertes Papier.
Er habe so etwas weder geschrieben noch veröffentlicht.
Nicht unter seinem, nicht unter fremdem und schon gar nicht dem Namen einer Frau. Sie sei, hatte er fast schon geflüstert, bedauerlicherweise auf eine …
Wer es glaubt, ist selbst …, flüsterte sie zurück und war froh, dass im Moment Riedinger rief.
Schnell, sie müsse hinaus. Klavier spielen.
Was er sich wünsche?, rief sie ihm über die Schulter zu.
Das hätte sie nicht fragen müssen. War zu erwarten, dass er sich das Unmögliche wünscht.
Mozart mit offenen Augen.
Im Gang berührte sie Riedingers aufgeregt zitternde Hand und ließ sie schnell wieder los.
Zeig dich noch nicht, flüsterte er, warte noch eine Minute. Je länger du sie hinhältst, desto mehr lieben sie dich.
Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken, blieb dennoch vor der Tür stehen und wartete gespannt. Sie hörte, wie sich der Applaus allmählich lichtete. Wenige Leute, drei oder vier, klatschten noch. So schnell und heftig, als wollten sie das Ausfallen der Mehrheit wettmachen.
Hinter sich hörte sie, wie der Doktor ihren Riedinger begrüßte. Und ihr Riedinger echt überrascht. Und sie nicht weniger, als sie hörte, wie er den Doktor um Hilfe bat. Er habe ein Päckchen zu versenden.
Was für ein Päckchen?
Ihm fehle die Zeit, die Sendung auf den Weg zu bringen.
Und sie hörte und teilte Mesmers Erstaunen. Ein Päckchen an Kaline. Und was denn darin sei?
Allerdings eine interessante Frage! So interessant, dass sie nun Riedingers Rat gehorchte. Was hat ihr Riedinger aus Paris an ihre Kaline in Wien zu schicken?
Sie wüsste es gern. Noch immer.
Eine Kleinigkeit, hieß es. Und: eine lange Geschichte. Und überhaupt. Heikel, das Ganze.
Das heikle Ganze, dachte sie. Davon war auch sie nun ein Teil. Und plötzlich kam ihr auch dieser Auftritt nicht unheikel vor. Die letzten Applaudierenden hatten sich auf einen Rhythmus eingeklatscht, der den Rhythmus ihrer Schritte vorwegnahm. Ein Klatschen, das sie auf die Bühne hinausziehen wollte. Sie hätte sich einfach gehen lassen können. Doch sie wollte im Gespräch bleiben. In dem der Doktor nach Kalines Kind fragte.
Und Riedinger sagte, sie habe es nun. Der Knabe mache sich. Kein Wunder. Zur Welt gebracht nach Mesmers Weisung. Kaline habe wie eine Löwin gekämpft. Das wisse er von Hossitzky, der Kaline schließlich geheiratet hat. Inzwischen habe sie vier. Den ersten, zwei weitere und Hossitzky.
Sie hörte die Männer lachen. Und konnte den einen vom andern kaum unterscheiden. Und hätte selbst gern gelacht. Aber lachend auf die Bühne? Eine blinde Klavieristin sei, so ihre weitsichtige Mutter, seriöser als seriös, und das müsse man ihr auch ansehen. Das sei es, was man hören solle. Und gehört werde das, was man von ihr sage. Sie riss sich los vom Lachen und schritt langsam, würdevoll dem aufbrausenden Applaus entgegen.
Als sich ihr größter Wunsch erfüllt hatte, fand sie den Doktor allein am Tisch. Dass er ihr schon wieder gratulierte, konnte ihre Freude nicht mehr vergrößern.
Ihr fiel nur ein, dass so, wie ihre an Lichtlosigkeit gewöhnten Augen alles Helle als Schmerz empfanden, der Doktor vielleicht ihren Erfolg als Schmerz empfand. Und sie beschloss, ihm nicht zu sagen, dass der König sie anschließend zu einem Umtrunk geladen hatte.
Sagte nur, sie sei müde. War sie ja auch. Sie hätte nicht gedacht, dass Freude so erschöpfend sein könnte. Und übrigens, der Kaiser Josef habe ihr
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