Am Anfang war die Nacht Musik
ihm das ja bekannt.
Aber warum merke sie nie etwas gleich, sondern immer erst hinterher, wenn es vorbei sei?
Was, lieber, offensichtlich durch meine Blindheit Reisender, wenn genau jetzt, in diesem Moment, etwas an mir vorüberstreicht, das ich erst, zurückgekehrt in den Rüssel , als wunderbar und mir fehlend erkenne?
Mir ist, als fiele ich von einem Schlaf in den nächsten. Aus dem traumlosen, dem kurzen Schläfchen, das jeder kennt und schätzt, ohne Pause in den tiefen, erholsamen, balsamischen Schlaf, nach dem sich jeder verzehrt. Und gleich, da passe kein Triller dazwischen, in den gefürchteten, harten, erschöpfenden Schlaf.
Genau der habe sie in den letzten Tagen fest im Griff gehabt. Drohe sie zu verschlingen. Vereinnahme bereits ihre liebe Hina ningyo . Die habe, als sie ihr in einem schweren Traum die Sicilienne vorspielte, gesagt, sie glaube nicht, dass ihre Sicilienne von ihr sei. Und als sie ihr sagte, doch, ich habe sie komponiert, da lachte die Puppe sich tot. Doch stand in ihren Augen geschrieben, dass sie es toll fand, dieses Stück und einige andere auch. Toll, toll.
Lieber, bester Doktor, sie sehne sich jetzt nach nichts als dem bodenlosen, magnetischen Schlaf, in dem man, solange man schlafe, hellwach sei und wissend.
Er, der Wache und Wissende, wisse sicher auch über den Schlaf Bescheid, der sie seit Gutenbrunn beherrsche.
Doch davon später. Mündlich. Ich hoffe.
Denn auch wenn dieser Brief von Fragen nur so wimmle. Er brauche nicht zu antworten. Einen Brief von ihm, an sie adressiert, werde der Vater nie und nimmer erlauben.
Siebzehntes Kapitel
Paris, April 1784
Wer wartet, lernt warten. Gelegenheiten gab es in den letzten Jahren und Monaten so viele wie arme Leute in Paris. Mal wartete er auf die Einladung der Pariser Fakultät der Ärzte , um seine Methode vorzustellen. Dann wartete er auf die Ergebisse einer von der Regierung ernannten Kommission, die sich angeblich für seine Heilmethode interessierte. Die Ergebnisse fielen so aus, dass sich das Warten (im Nachhinein) nicht gelohnt hatte. Und trotzdem. Er wartete.
Jetzt wartet er auf die Antwort einer angeblich ernsthaft mit seiner Methode befassten, von König Ludwig XVI. ernannten Kommission. Männer vom wissenschaftlichen Format eines Franklin, eines Lavoisier, eines Guillotin. Diesmal würden sie begreifen. Wie er begriffen hat, dass das Warten nichts anderes ist als ein Raum. Ein Zimmer mit vielen Türen. Die sich in diese oder in jene Richtung – aber auf jeden Fall – öffnen lassen. So, wie die Tür zum Garten vor seiner Praxis. In dem er Blumen und heilende Kräuter gepflanzt hat.
Anfangs hatte er auf Annas Briefe aus Wien gewartet. Auf die Neuigkeiten aus der Landstraße. Wie es den Patientinnen gehe und was der Hund so mache. Und immer auf Annas Antwort auf seine Frage, Wann kommst du?
Und wenn die dann zwei Monate später eintraf, nicht Anna, die Antwort, besagte sie, die Gesundheit der Patientinnen habe so große Fortschritte gemacht, dass sie allesamtausgeflogen seien. Zurück ins luftige Leben. Und der Hund? Auch fort. Eines Tages, nach einem Gewitter, sei er plötzlich nicht mehr aufgetaucht. Sie habe ihn gelockt und gerufen und das Wäldchen nach ihm absuchen lassen. Vergeblich. Entweder sei er Opfer eines Blitzeinschlags geworden oder einer läufigen Hündin. Sie halte Ersteres für wahrscheinlicher, da sie höre, dieser Metallstangenwahn greife um sich, überrage Europa, nehme zu an Zahl und mit ihm die Gewitter. Aber wer könne es wissen. Die Liebe schlage ja mitunter auch ein wie ein Blitz. Und vielleicht kommt sie ja wieder, die kleine Bestie. Sie gebe die Hoffnung nicht auf. So, wie sie die Hoffnung noch nicht aufgebe, dass er, ihr Gatte, wiederkomme.
Denn auf seine letzte Frage müsse sie, Anna, anworten, so wie sich alles entwickle, nein, sie komme auf gar keinen Fall nach Paris. Sie wolle mit ihm sein, ja, mehr als alles auf der Welt. Mit ihm in der Wiener Welt der Landstraße. Er solle zurückkommen.
Ausgeschlossen, schrieb er. Hier in Paris werde seine Arbeit unterstützt und gefördert. Er sei abhängig von seinen Anhängern. Sie wisse doch, die guten Verbindungen mit den besseren, mit den allerbesten Verbindungen. Kornmann sei dabei, Gelder zu sammeln. Um einen Verein zu gründen. Eine Schule des Magnetismus. Eine magnetische Klinik.
Sie müsse nicht denken, dass er sich nicht einsam fühle. Einsamer vielleicht, als wenn er niemanden kennte. Die ständige Suche nach Menschen, die sich wie
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