Am Anfang war die Nacht Musik
er um die Wahrheit bemühten, sei ermüdend. Und immer vergeblich. Solche Menschen ließen sich hier so wenig finden wie in Wien. GanzParis eine Einöde! Eine Wüste, bevölkert mit Wesen, die für das Gute nichts übrig haben. Und größtenteils auch unempfindlich für seine magnetische Methode.
Und wieder hat er über einen Monat auf Antwort gewartet. Die dann lautete: Nach allem, was sie höre, werde er in Paris genauso verleumdet wie in Wien. Da sei es doch schnurz, wo er sich in den Regen stelle. Ob hier oder da, verleumdet werde er auf jeden Fall. Und sie mit ihm. Und wenn sie sich aussuchen könne, wo sie lieber verleumdet werde, dann schon lieber in Wien. Da kenne sie sich und die Leute.
Liebe Anna, schrieb er. Französische Unhöflichkeit ist sicher nicht weniger sauer als wienerische, doch die französische allemal von Welt.
Er schrieb ihr, wie sehr er sich über ihre Briefe freue. Aber gewartet hat er nicht mehr auf sie. Ab jetzt wartete er hauptsächlich auf die Boten. Die ihm Schreiben von Kornmann und Bergasse überbrachten. Und eines Tages hielt er einen Brief in den Händen, in dem der Bankier Kornmann und der Advokat Bergasse mitteilten, es sei geschafft. Fast eine halbe Million gesammelt. Die Gelder kämen aus allen Provinzen Frankreichs. Genug, um damit einen Verein zu gründen, eine Klinik zu eröffnen und eine magnetische Schule. La Societé d’Harmonie de France werde im Mai Wirklichkeit werden.
Da hatte sich das Warten zum ersten Mal gelohnt. Jetzt, wo er das Warten so gut beherrschte. Wusste, dass sich, während man wartet, alles Mögliche erledigen ließ. Praxisräume finden. Patientinnen magnetisieren. Eine Gruppe Schüler zusammenstellen. Verträge aufsetzen, lukrative Verträge. Dieneranstellen. Und die Glasharmonika spielen. Und es ließen sich viele französische Hühner auf äußerst pikante Pariser Art zubereitet, und außerdem französische Weine kosten. Denn Mesmer hatte so lange gewartet, dass sich auch vergessen ließ, dass er wartete.
Bis zu diesem Tag vor knapp zwei Wochen, als er in der Zeitung las, Maria Theresia von Paradis sei in Paris eingetroffen. Werde eine Reihe Konzerte geben.
Sie hat es geschafft! Sie hat es geschafft. Irgendwo in einer zentralen Region seines Körpers jubelte es: in der Gegend um den Solar plexus herum. Und (merkwürdig), ihr Erfolg und seiner standen zur selben Zeit vor derselben Pariser Tür. Als gehörten sie irgendwie zusammen. Auch wenn er an solche Schicksalsmächte nicht glaubt.
Selbstverständlich geht er hin. Er will sie sehen. Unbedingt. Und hören.
In den folgenden Tagen aber wird noch etwas deutlich: Er wartet auf eine Nachricht von Maria. Und das Warten auf Maria lässt sich nicht vergessen. Es macht sich immer bemerkbar. Mischt sich in alles ein.
Nachdem er die gichtige Herzogin de Chaulnes erst durch die Klagen über ihre gichtigen Finger, dann zum Baquet und durch eine heftige Krise schließlich in den Matratzenraum begleitet hat, bis in den Schlaf begleitet hat, zieht es ihn wieder hinaus, hinaus in den Garten. Inmitten des alles beherrschenden Flieders der Hirschmangold, voll aufgeblüht. Die Blüten beginnen sich schon wieder zu schließen. Es ist Mittag vorbei. Von Maria nichts. Diese Art Warten kränkt ihn. So gekränktist er, dass er zum Konzert gar nicht mehr hinwill. Er verzichtet. Freiwillig. Dabei hat er in Paris noch kein einziges der Concerts spirituels versäumt.
Als die Herzogin endlich erwacht, hat der Hirschmangold seine blauen Blüten längst geschlossen. Morgen fallen sie ab, denkt er und hievt die schwere Herzogin von der Matratze hoch. Ihre Schmerzen sind weg, doch versäumt sie es nicht, ihn zu fragen, ob er denn Verbindung halte zu ehemaligen Patientinnen.
Das komme drauf an, sagt er.
Auf was?
Auf die Umstände. Warum sie frage.
Nur so …, sagt sie.
Nur so?
Ob er denn noch Kontakt habe zu dieser … Mademoiselle de Vienne ?
Sie hat es in der Zeitung gelesen. Alle haben es in der Zeitung gelesen. Wer Zeitung liest, kennt die Geschichte.
Die lautet: Missglückter Heilungsversuch der blinden Mademoiselle durch Monsieur Mesmer . Diese Geschichte hatte ihn bereits empfangen, als er vor Jahren in Paris eingetroffen war. Das hatte die Mischpoke aus Wien geschafft.
Sie meinen, sagt er, Mademoiselle Paradis?
Ja, sagte sie. Die junge Blinde …
Sie meinen, korrigiert er, die junge Blinde, die ich schon sehen sah.
Sie spiele morgen Abend in den Tuilerien, in der Salle des Machines .
Ja, danke. Auch
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