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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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ihm eine Kraft existiere. Darausleite er den Willen ab, sie wirksam werden zu lassen.
    Carra übertönt ihn noch, ich glaube, unter einer unmoralischen Herrschaft muss der Mensch krank werden …

    Während seine Schüler sich gegenseitig aufschaukeln, öffnet Mesmer die Tür, weit, so weit es geht.
    Kein Mensch. Keine Maria. Und auch nicht, als er über die Schwelle tritt und über die Place Vendôme blickt. Wo im noch durchsonnten Schatten der Bäume zwei Kutschen vor ihren schattigen Schatten herschaukeln, anhalten, ein paar Damen entlassen, die mit Sonnenschirmen übers Pflaster spazieren – keine Maria. Oder?
    Die Einbildungskraft, denkt er. Und fragt sich, in welchem Pariser Hotel Maria abgestiegen ist. Und stellt sich das Palais Royal vor. Und ob ihr die große Stadt zusetzt, wie ihm, als er vor Jahren eintraf. Schon das Ankommen in der Metropole. Diese Begeisterung muss ja erst mal verkraftet werden. Dieses Begeisterungswachstum. Er war hin und weg gewesen. Hin und weg.
    In Paris sein bewirkte einen Laufschub. Er musste andauernd laufen.
    Hin und weg. Zur Oper laufen. Zur Seine laufen. Flussaufwärts. Flussabwärts retour. Über die Brücke laufen, hinüber auf die andere Seite. Zur Kathedrale. Und wieder weg. Durch die ungeraden Gässchen, die fließenden Gerüche. Und wieder zur Kathedrale. Notre-Dame anlaufen. Aus allen Richtungen und Winkeln. Zum Fluss zurück. Wieder hinüber. Hin zum Louvre. Richtung Tuilerien. Durch den Park hindurch. Tagelang, nächtelang musste er laufen, als sei diese verrückte Stadtihm in die Beine gefahren, habe ihn zur Maschine gemacht, die alles in sich aufsog. Diese unglaubliche Pracht und ihr unglaubliches Gegenteil. Alles fand sich hier wie auf die Straße gekippt.
    Menschen boten zu jeder Tages- und Nachtzeit Dienste an: ihre Körper, ihre Kräfte, ihre Erfindungen. Er hatte sich ansprechen lassen. In Wien wäre er weitergegangen. In der Fremde blieb er stehen. Trat mit den Füßen auf der Stelle. So, wie man ihm hier eine Chance gab, gab er anderen eine. Zuerst einer Wahrsagerin, die ihm mehr Ruhm und mehr Reichtum prophezeite (sie soll recht behalten). Dann das wie eine Mischung aus Wissenschaftler und Künstler wirkende Individuum, das über seinem Bettelhut und seiner abgestoßenen Mappe auf einem Strohstühlchen saß und aus dem Dickicht seines Bartes heraus die Errungenschaften beschwor, die in dieser Mappe schlummerten.
    Ob Maria durch die Stadt läuft? Ob sie einander erkennen würden? Ob sie stehen bliebe für einen Fremden? Ob sie großzügig wäre oder gedankenlos oder leichtsinnig?
    Er hatte vor diesen, wie der Bärtige beteuerte, genialischen Erfindungen gestanden. Lauter lose Einzelblätter, vor ihm ausgebreitet, und von einer ländlich breiten Hand am Davonfliegen gehindert. Die Pläne zu den Maschinen, die der Genialische konstruiert habe.
    Eine Maschine, die fliegen kann, ohne ein Ballon zu sein. Ohne Dampf, ohne Gas. Sie kann Schweres tragen, kann Wasser pumpen, Korn mahlen, sich selbst fortbewegen. Aber lebendig ist sie nicht. Immer mehr Rätsel auf knitterigem Papier, vor Mesmer ausgebreitet, dienten als Beleg. Immer mehrIdeen: eine neue Art, sich über weite Entfernungen hin verständlich zu machen. Ganz ohne Sprache.
    Oder das Allerbeste überhaupt: Wie man im Nu das Herz gewinne, das Herz der Liebsten, nach dem man sich verzehre.
    Die letzte Zeichnung, in wenigen, stark verschmierten Strichen hingeworfen, ein Gerät, mit dem man Maschinen auf fernen Planeten im Detail sehe, so deutlich, als wären sie hier auf der Erde.
    Wie das?
    Oh, nein! Zuerst die zwanzigtausend Livres und ein Dach über dem Kopf, damit er sich in Ruhe der Ausarbeitung eben jener Details widmen könne. Mesmer warf ihm eine Münze in den Hut. Sagte, seine Träume seien dieselben. Das Ganze scheine ihm aber noch nicht aus dem Stadium des Wünschens heraus.
    War weitergelaufen. So lange, bis er zum ersten Mal seit seiner Ankunft Schwere in den Beinen spürte. Und zum ersten Mal seit seiner Ankunft hatte er sich hingesetzt. Und von den Marmorstufen im Park der Tuilerien zwei in modisches Rosé gekleidete junge Frauen beobachtet, die, im Gespräch, an ihm vorübergingen.
    Eine warf ihm einen Blick zu, der seine Beine sofort wieder leicht machte. Er hörte sie den Namen Guillaume sagen und hielt sie für Kornmanns Geliebte. Genau so hatte der sie beschrieben. Dunkle, quirlige Locken und dieser freigebig direkte Blick.
    Guillaume, sagte Rosé zu Rosé, sende ihr täglich ein neues

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