Am Dienstag sah der Rabbi rot
er jung, nicht älter als dreißig, dann trug er eine graue, leicht ausgestellte Flanellhose und ein Sportsakko mit einem Tattersall-Karo. Er war auch nicht zudringlich, ganz im Gegenteil: Er wirkte reserviert und etwas zweifelnd. «Wir schätzen diese Nationalgerichte nicht so sehr, Miss Chernow. Diese Knisches und gefüllten Kischke sind recht wohlschmeckend, wenn auch für meinen Geschmack ein bisschen schwer, aber leider machen wir das nicht. Wir bevorzugen schlichte Hors d’œuvres: kleine Toasthappen mit Gurke, Lachs oder Krabbensalat oder vielleicht geröstete Shrimps zu den Cocktails. Nach unserer Meinung soll die Vorspeise den Appetit wecken und ihn nicht erschlagen. Sie möchten doch nicht, dass die Hauptmahlzeit davon in den Schatten gestellt wird, nicht wahr?»
Edie stimmte ihm zu.
«Was nun das Hauptgericht anbelangt, da bieten wir meiner Meinung nach eine größere Auswahl als alle anderen Firmen. Zusätzlich zu den üblichen gebratenen Hähnchen und dem Roastbeef haben wir viele Fischgerichte und auch Hummer, aber da der Markt heutzutage so unzuverlässig ist, mussten wir den Hummer leider streichen. Dann haben wir Beef Stroganoff …»
Edie aß Beef Stroganoff leidenschaftlich gern.
«Wir haben das bei einer großen Hochzeit im Reform-Tempel B’nai Jacob in Boston geliefert. Es ist sehr gelobt worden.»
Edie dürstete es geradezu nach Lob.
Rabbi David Small öffnete die Tür und trat zur Seite, um Edie und Mrs. Chernow einzulassen. Obwohl die Chernows schon seit mehreren Jahren in Barnard’s Crossing lebten, war es Edies erste Begegnung mit dem Rabbi. Bei den seltenen Gelegenheiten, in denen sie an den hohen Feiertagen für etwa eine halbe Stunde in den Tempel gegangen war, hatte er in einem der thronartigen Stühle neben der Bundeslade gelehnt oder vom Pult aus kurze Ankündigungen gegeben; sie war nie zur Predigt geblieben – und war wenig von ihm beeindruckt. Sie sah auch gar keinen Grund, ihre Meinung nun zu ändern. Er war mittelgroß und dünn und blass. Er hielt mit krummem Gelehrtenrücken den Kopf nach vorn gestreckt und blickte kurzsichtig durch dicke Brillengläser. Beim Hereinkommen war ihr auch aufgefallen – sie hatte einen Blick für solche Dinge –, dass seine Schuhe staubig waren und die schlecht gebundene Krawatte schief hing.
«Kommt der Bräutigam nicht?», fragte der Rabbi.
«Oh, Roger war nicht abkömmlich.»
«Er ist Professor in einem College in Boston», erklärte Edies Mutter. «Er hat Vorlesungen.»
«Ach, so wichtig ist es auch nicht», erklärte der Rabbi. «Wenn die Hauptpersonen erst unter der chupe versammelt sind, das ist der Baldachin, gebe ich Ihnen schon die nötigen Belehrungen.»
«Gibt es eine besondere Regel, wer zuerst nach vorn kommt?», fragte Mrs. Chernow.
«Nein, Mrs. Chernow, das können Sie ganz so halten, wie es Ihnen gefällt, solange die Braut als Letzte kommt, meistens am Arm des Vaters. Manchmal kommt der Bräutigam von der Seite her, entweder allein oder mit seinen Eltern; aber er kann auch durch den Mittelgang gehen, wenn Sie das lieber haben. Sie können eine Prozession bilden, der Bräutigam, seine Eltern, der Trauzeuge, vielleicht mit der Brautjungfer, dann die Mutter der Braut und am Ende die Braut am Arm des Vaters. Generell besteht die Neigung, die Gruppe der Braut von der des Bräutigams getrennt zu halten, bis sie sich unter dem Baldachin treffen, und sogar dort stelle ich sie normalerweise getrennt auf. Die Familie der Braut auf ihrer Seite und die des Bräutigams auf seiner.» Er lächelte. «Wie Sie dort hinkommen, ist nicht so wichtig wie das, was nach Ihrer Ankunft geschieht. Ich lese den ketubah , das ist der Heiratsvertrag, den der Bräutigam schon vorher unterschrieben hat, und natürlich auch die Heiratsurkunde. Dann spreche ich die Segnungen, oder Sie können sie auch vom Kantor singen lassen. Danach trinken die Braut und der Bräutigam aus demselben Glas den Wein. Wenn Sie einen langen Schleier tragen sollten, Miss Chernow, hält ihn üblicherweise Ihre Brautjungfer hoch, damit Sie trinken können. Dann spricht mir der Bräutigam Wort für Wort einen kurzen hebräischen Text nach, der besagt, dass Sie ihn mit dem Ring segnen, den er, entsprechend den Gesetzen von Moses und Israel, an Ihren Finger steckt. Dann wird noch einmal Wein getrunken, und danach zerbricht der Bräutigam das Glas, das ihm unter den Fuß gelegt wird.»
«Muss das sein, das Zerbrechen des Glases?», fragte Edie. Der Rabbi sah
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