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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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überrascht aus. «Haben Sie etwas dagegen?»
    «Ach, es kommt mir so albern vor, so – primitiv.»
    Er nickte. «Es ist eine Tradition, die möglicherweise wirklich in primitive Zeiten zurückreicht. Ganz bestimmt ist es eine alte Überlieferung, so alt sogar, dass ihr Grund verloren gegangen ist. Natürlich gibt es Mutmaßungen, die verbreitetste davon ist, dass sie uns an die Zerstörung des Tempels erinnert. Oder, dass sie bedeutet, dass selbst in Glück und Freude Trauer enthalten ist. Um ehrlich zu sein, ich finde keine der beiden Erklärungen sehr überzeugend. Ich sehe es lieber als ein Symbol. So wie das Glas, aus dem Braut und Bräutigam gemeinsam getrunken haben, nun zerbrochen ist, so kann keiner mehr in die eben geschlossene Einheit eindringen. Lassen wir es dabei, dass es eine Tradition ist, nicht sinnvoller als das Tragen des Eherings an der linken Hand. Aber es ist eine Tradition, die seit Jahrhunderten für jüdische Hochzeiten charakteristisch war, und darum behalten wir sie bei.» Er wandte sich an Mrs. Chernow. «Ich kann Ihnen einen Zweck sagen, dem es dient, und dem dient es sehr gut: Es ist ein dramatischer Höhepunkt der Feierlichkeit. Der Bräutigam zerbricht das Glas, und alle sagen Massel Tow , viel Glück, und der Bräutigam küsst die Braut, und dann ist es zu Ende. Sie sind verheiratet.»
    «Es ist nur so, dass der junge Mann hinkt», sagte Mrs. Chernow.
    «Ach?», fragte der Rabbi. «Und Sie glauben, er könnte das Glas nicht mit dem Fuß zertreten?»
    «Mutter! Natürlich kann er das!», fauchte Edie wütend.
    «Na, dann ist das ja kein Problem», sagte der Rabbi hastig und fuhr eilig fort: «Danach gehen alle nach unten in das Vorzimmer vom Gemeindesaal. Jetzt gehen Braut und Bräutigam natürlich voran, und die ganze chupe -Gesellschaft folgt ihnen. Ich nehme an, dass Sie einen kleinen Imbiss und Getränke vor dem Dinner anbieten werden. Das Gratulationszeremoniell könnten Sie dann dort abhalten. Bis jeder gratuliert hat, werden die Leute von Lubovnik fertig sein und die Türen vom Vorraum zum Saal öffnen, was das Zeichen ist, dass das Essen serviert werden soll. Sie können sich darauf verlassen, dass sie sich genau an die abgesprochenen Zeiten halten. Sie machen das sehr gut und haben auch viel Erfahrung damit.»
    «Ja, aber wir sind nicht bei Lubovnik», sagte Edie.
    «Nein?»
    «Wir nehmen Stillman’s aus Boston.»
    «Von denen hab ich, glaube ich, noch nie gehört. Sind sie neu?»
    Edie lachte fröhlich. «Wohl kaum, Rabbi. Sie machen das schon sehr lange. Sie kennen doch sicher das Restaurant Stillman in Boston?»
    «Ah, ja, davon hab ich gehört. Aber ich hatte immer die Vorstellung, dass das kein jüdisches Restaurant wäre und ganz bestimmt nicht koscher.»
    «Ja, natürlich nicht, Rabbi –»
    «Dann können sie in unserer Synagoge nicht servieren, Miss Chernow. Unsere Küche ist koscher.»
    «Aber das ist doch lächerlich», rief Edie. «Ich hab schon alles arrangiert.»
    «Dann müssen Sie es wieder rückgängig machen», sagte der Rabbi leise.
    «Und das Geld, das wir im Voraus gezahlt haben, zum Fenster hinauswerfen?», fragte Mrs. Chernow entrüstet.
    Die Finger des Rabbi trommelten leise auf dem Schreibtisch. «Das ist auch nicht schlimmer als das Geld, das Sie in den verflossenen Jahren für die Tempelgebühren gezahlt haben.»
    «Tempelgebühren? Was meinen Sie damit?»
    «Wenn Sie in den Jahren, in denen Sie hier wohnen, nicht das Prinzip begriffen haben, nach dem unsere Synagoge arbeitet, dann waren alle Ihre Jahresbeiträge doch eigentlich auch zum Fenster hinausgeworfen.»
     
    Roger Fine, schlank und braun gebrannt, hatte die langen Beine im Wohnzimmer der Chernows ausgestreckt und klopfte mürrisch mit seinem Stock auf die Seite seines Schuhs, während er Edies Bericht über die Begegnung mit dem Rabbi folgte. Mit vor Entrüstung gepresster Stimme sagte sie: «… und der Mann hatte den Nerv, ja die Unverfrorenheit, uns glatt ins Gesicht zu sagen, dass das Geld, das mein Vater jedes Jahr für die Synagoge gezahlt hat, praktisch verschwendet worden wäre. Ich hab den ganzen Nachmittag am Telefon gehangen und im Umkreis von zwanzig Meilen überall herumtelefoniert, um für den Abend noch einen Saal zu mieten, aber es war schon alles vergeben. Und wenn sie nicht vergeben waren, dann kochen sie da selber. Dazu kommt noch das Problem, dass wir allen schreiben müssten, um den neuen Ort anzugeben, und wir müssten einen anderen Rabbi auftreiben. Ich hab sogar

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