Am Ende der Welten - 16
ich bloß den Vorhang geöffnet habe, damit du ihn mit eigenen Augen sehen kannst.«
Richard sah zu Nicci, doch die hüllte sich in Schweigen. Er blickte die Stufen hoch zu seinem Großvater, der, die Hände locker verschränkt, dastand und das Geschehen stumm verfolgte. Zedd hatte ihm beigebracht, sich stets mit dem Zustand der Welt zu befassen, wie sie wirklich war, statt sich über die unsichtbare Hand des Schicksals aufzuregen, die nach Meinung mancher die Geschehnisse beherrschte und heraufbeschwor. Machte er denselben Fehler jetzt bei Shota? Versuchte er, ihr die Schuld zu geben, weil sie ihm Dinge offenbart hatte, die er übersehen, ja die zu sehen er sich geweigert hatte?
»Tut mir leid, Shota«, sagte er, ruhiger jetzt. »Ihr habt recht. Ihr habt mir den Regen tatsächlich nur gezeigt. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn beenden soll, aber immerhin habe ich ihn gesehen. Ich sollte Euch keinen Vorwurf für Dinge machen, die andere zu verantworten haben. Bitte verzeiht.«
Shota lächelte verhalten. »Dies ist einer der Gründe, warum du derjenige welcher bist, Richard - der Einzige, der diesem Irrsinn ein Ende machen kann. Du bist bereit, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Deswegen habe ich Jebra mit ihren entsetzlichen Augenzeugenberichten über die Verbrechen mitgebracht, die die Imperiale Ordnung derzeit überall begeht. Das ist die Wahrheit, die du erkennen musst.«
Richard nickte, obwohl er sich im Grunde nur noch schlimmer und verzweifelter fühlte, denn er hatte keine Ahnung, wie er bewerkstelligen sollte, was ihrer Meinung nach nur er tun konnte. Er begegnete Shotas unerschütterlichem Blick. »Ihr habt keine Mühen gescheut, Jebra hierher mitzubringen. Ihr habt eine weite Reise auf Euch genommen. Eure Zukunft, ja Euer Leben hängt hiervon nicht weniger ab als meines oder das aller freien Menschen, all derer, die die Gabe besitzen. Wenn die Imperiale Ordnung obsiegt, werden wir alle sterben, auch Ihr. Könnt Ihr mir nicht irgendeinen Hinweis geben, der mir helfen könnte, diesem Irrsinn ein Ende zu machen? Ich kann jede Hilfe gebrauchen, die Ihr mir geben könnt. Gibt es denn gar nichts, was Ihr mir sagen könnt?«
Ehe sie sprach, starrte sie ihn einen Augenblick lang an, so als wäre sie mit den Gedanken ganz woanders. »Jedes Mal, wenn ich dir einen Hinweis gebe«, sagte sie schließlich, »reagierst du verärgert - so als wäre ich es, die die Dinge schafft, die sind, anstatt sie nur weiterzugeben.«
»Wir stehen kurz davor, versklavt, gefoltert und umgebracht zu werden, und Ihr fühlt Euch plötzlich gekränkt und in Euren Gefühlen verletzt?«
Gegen ihren Willen musste Shota über seine Formulierung schmunzeln. »Du scheinst zu glauben, ich pflücke die Offenbarung einfach so aus dem Nichts - so wie man eine Birne pflückt.« Das Lächeln erlosch, und ihr Blick bekam etwas Distanziertes, Entrücktes. »Du würdest nicht einmal ansatzweise begreifen, welch hohen Preis ich ganz persönlich dafür zahle, derart verhülltes Wissen ans Licht zu bringen. Ich bin nicht gewillt, diese ungeheuren Mühen auf mich zu nehmen, wenn dieses mühsam erlangte Wissen keinen anderen Zweck erfüllt, als einen Groll zu nähren.« Richard schob die Hände in die Hosentaschen. »Na schön, ich verstehe, worauf Ihr hinaus wollt. Wenn Ihr schon bereit seid, solche Mühen auf Euch zu nehmen, dann erwartet Ihr, dass ich ernsthaft darüber nachdenke. Für jeden von uns steht alles auf dem Spiel, Shota, deswegen wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn Ihr mir irgendeinen Hinweis geben könntet.«
Shota holte tief Luft und ließ sie schließlich mit einem resignierten Seufzer wieder heraus. Sie beugte sich ganz leicht zu ihm hin, so als wollte sie dadurch betonen, wie ernst es ihr war. »Was ich jetzt sage, ist einzig und allein für deine Ohren bestimmt.« Richard sah Nicci und Cara an und wies zur Treppe. »Geht bitte beide hinauf zu Zedd und wartet dort.«
Nicci behagte die Idee erkennbar ebenso wenig wie Cara, doch der Blick, mit dem er sie bedachte, sagte ihr, dass sie besser tat, worum er sie bat. Sie schickte ein glühend heißes Funkeln Richtung Shotas Hinterkopf. »Sollte ich aus irgendeinem Grund zu der Annahme gelangen, dass Ihr vorhabt, ihm etwas anzutun, werde ich Euch in ein Häuflein verglühter Asche verwandeln, ehe Ihr auch nur Gelegenheit habt, einen Finger zu rühren.«
»Warum sollte ich ihm etwas antun wollen?« Shota sah über ihre Schulter. »Richard ist der Einzige, der die Chance hat, der
Weitere Kostenlose Bücher