Am Ende der Welten - 16
sonderlich einschüchtern lassen und sich der Soldaten ebenso mühelos wie erbarmungslos entledigt.
Bei derartigen Zusammenstößen mit Patrouillen waren die Schwestern stets sorgsam darauf bedacht, keine Zeugen entkommen zu lassen, offenbar um auszuschließen, dass irgendwelche Meldungen die Armee erreichten - wahrscheinlich, vermutete Kahlan, weil sie dazu führen konnten, dass größere Scharen aufgebrachter Soldaten sich auf ihre Fährte setzten. An Tovi und das letzte Kästchen heranzukommen war für sie von allergrößter Wichtigkeit, daher hatten sie ein enormes Tempo angeschlagen, um in so kurzer Zeit eine solch weite Strecke zurückzulegen. Kahlan war etwas verwundert, dass sie es noch immer nicht geschafft hatten, Tovi einzuholen, wo ihnen doch nichts auch nur annähernd so wichtig war wie ihre kostbaren Kästchen … Schwester Armina war schon lange von ihrer erfolglosen Suche nach einem möglichen Beobachter zurückgekehrt, die drei Schwestern hatten längst zu Abend gegessen, als Kahlan immer noch mit ihren täglichen Arbeiten beschäftigt war, vor deren Erledigung sie nicht zu Abend essen durfte. Sie war gerade dabei, die Pferde zu striegeln, als sie das leise Geräusch von Schritten auf dem harten, ausgedörrten Boden zu hören meinte. Das Geräusch riss sie aus ihren Gedanken, und ihre Hand mit dem Striegel hielt inne. Sie sah über ihre Schulter und erschrak. Dort, am äußersten Rand des matten Lichtscheins, stand zaghaft ein schlankes Mädchen mit dunklem, kurz geschnittenem Haar.
Jetzt, da der Mond nur gelegentlich zwischen den ziehenden Wolken hervorlugte und das Lager größtenteils vom Schein der einzigen Laterne drüben bei den Schwestern erleuchtet war, war es schwer, überhaupt etwas zu unterscheiden, trotzdem konnte Kahlan gut genug sehen, um zu erkennen, dass die weißlichen Augen des jungen Mädchens sie anstarrten - mit einem Blick, aus dem deutliches Erkennen sprach. Das Mädchen sah sie, Kahlan. »Bitte …«, setzte das Mädchen an. Kahlan legte einen Finger an die Lippen, aus Angst, die Schwestern könnten es hören. Wie der Mann seinerzeit im Gasthaus, so nahm auch jetzt das Mädchen Kahlan nicht nur wahr, sondern erinnerte sich an sie. Kahlan war verblüfft und gleichzeitig ängstlich besorgt, dem Mädchen könnte das Gleiche widerfahren wie dem Besitzer des Gasthauses. »Bitte«, wiederholte das Mädchen in leisem Flüsterton, »könnte ich vielleicht was zu essen kriegen? Ich hab solchen Hunger.« Kahlan warf einen Blick zu den Schwestern hinüber. Alle drei waren in ein Gespräch vertieft. Sie langte in ihre Satteltasche in dem Gepäckberg nahe bei ihren Füßen und zog einen Streifen getrocknetes Wildbret hervor. Dann legte sie den Finger abermals an ihre Lippen und gab dem Mädchen das Fleisch. Es nickte zum Zeichen, dass es verstanden hatte, und machte keinen einzigen Laut. Das Fleisch gierig mit beiden Händen entgegennehmend, biss sie sofort hinein und riss mit den Zähnen ein Stück heraus. »Und jetzt verschwinde«, flüsterte Kahlan, »bevor sie dich sehen. Beeil dich.«
Das Mädchen sah hoch zu Kahlan, dann an ihr vorbei. Ihre Augen weiteten sich; ihre Kaubewegung stockte. »Sieh einer an«, erklang eine bedrohliche Stimme hinter Kahlans Schulter, »wenn da nicht unser kleines Maultier gekommen ist, um uns zu bestehlen.«
»Bitte, die Kleine war doch nur hungrig«, sagte Kahlan in der Hoffnung, Schwester Ulicias Zorn zu besänftigen, ehe er voll entflammte. »Sie hat um einen Bissen zu essen gebettelt; sie hat nichts gestohlen. Ich hab ihr von meiner Ration gegeben, nicht von euren.«
Jetzt gesellten sich auch die beiden anderen zu Schwester Ulicia, sodass sie wie drei nebeneinander aufgereihte Geier wirkten. Schwester Armina hielt die Laterne in die Höhe, um besser sehen zu können. Die drei sahen aus, als hätten sie die Absicht, dem Mädchen das Fleisch von den Knochen zu reißen.
»Wahrscheinlich wollte sie nur abwarten, bis wir uns schlafen legen«, sagte Schwester Ulicia und beugte sich näher, »um uns dann die Kehle durchzuschneiden.«
Ein kupferfarbenes Augenpaar leuchtete im Schein der Lampe auf, als das verängstigte Mädchen zu ihnen hochblickte. »Ich hab nicht auf der Lauer gelegen. Ich hatte Hunger. Ich dachte, ich könnte vielleicht was zu essen bekommen, das ist alles. Ich hab gefragt, ich hab nichts gestohlen.«
Das Mädchen erinnerte Kahlan ein wenig an die Kleine im Wirtshaus, das kleine Mädchen, das Kahlan zu beschützen versprochen hatte,
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