Am Ende der Welten - 16
Nathan.
Der Prophet überragte sie mit seinen breiten Schultern um einiges, wohingegen sie, in ihrem einfachen Wollkleid, das ergrauende Haar zu einem lockeren Knoten nach hinten gerafft, neben Nathan eher unauffällig wirkte. Richard fand, dass wahrscheinlich so ziemlich jeder neben Nathan unauffällig wirken würde. Mit einer Handbewegung wies er auf das Geflecht aus geometrischen Linien, die Nicci umfingen. »Was ist das für ein Gebilde?«
»Ein Prüfnetz.«
Richard runzelte die Stirn. »Ein Prüfnetz? Was soll denn geprüft werden?«
»Die Feuerkette«, erklärte ihm Zedd mit ernster Stimme. »Wir versuchen die genaue Funktionsweise einer Feuerkettenreaktion herauszufinden, um feststellen zu können, ob vielleicht die Möglichkeit besteht, sie rückgängig zu machen.« Richard kratzte sich an der Schläfe. »Aha.« Das Ganze gefiel ihm immer weniger. Er hatte das unbedingte Verlangen, Kahlan wieder zu finden, und gleichzeitig war er zutiefst besorgt, was Nicci bei diesem Versuch, die mysteriösen, von Zauberern aus früheren Zeiten erschaffenen Kräfte zu enträtseln, widerfahren konnte. Zedd, als Oberster Zauberer, verfügte über Fähigkeiten und Talente, die Richard nicht einmal im Ansatz zu begreifen vermochte, und doch waren ihm diese Zauberer aus alter Zeit hinsichtlich seiner Gabe weit überlegen. Trotz des ungeheuren Wissens, das Zedd, Nathan, Ann und Nicci besaßen, trotz ihrer ungeheuren Macht, taten sie im Grunde nichts anderes, als mit Dingen herumzuhantieren, die weit außerhalb ihrer Erfahrung und ihrer Fähigkeiten lagen, Dingen, die selbst die Zauberer aus alter Zeit gefürchtet hatten. Aber hatte denn jeder von ihnen überhaupt eine andere Wahl?
Zudem war Richard nicht nur besorgt um Nicci, er brauchte sie auch, damit sie ihm bei der Suche nach Kahlan half. Die anderen mochten auf einigen Gebieten mächtiger sein als sie, alles zusammengenommen aber bewegte sie sich auf einem ganz anderen Niveau. Wahrscheinlich war sie die mächtigste Hexenmeisterin, die je gelebt hatte. Was andere nur unter größten Mühen vollbringen konnten, schaffte Nicci mit einem flüchtigen Blick. So bemerkenswert das war, in Richards Augen war es vermutlich noch einer ihrer am wenigsten bemerkenswerten Züge. Er kannte außer Kahlan niemanden, der sich mit ähnlicher Hartnäckigkeit auf ein Ziel konzentrieren konnte. Wenn es darum ging, ihn zu beschützen, mochte Cara ebenso unbeirrbar sein, Nicci dagegen schaffte es, diese Hartnäckigkeit auf alles anzuwenden, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. Damals, als sie noch gegen ihn gekämpft hatte, hatte ihre eiserne Entschlossenheit sie nicht nur ungeheuer effektiv, sondern auch überaus gefährlich gemacht. Er war froh, dass sich das alles geändert hatte. Seit Beginn der Suche nach Kahlan war Nicci zu seiner engsten und treuesten Freundin geworden, und das, obwohl sie wusste, dass sein Herz Kahlan gehörte und sich das niemals ändern würde. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Und wieso schwebt sie dann dort oben, mitten in diesem … Ding?« »Weil sie als Einzige von uns weiß, wie man subtraktive Magie an wendet«, brachte es Ann schlicht auf den Punkt. »Für das Auslösen einer Feuerkettenreaktion und ihr anschließendes Funktionieren benötigt man subtraktive Magie. Im Augenblick versuchen wir, den Zauber in seiner Gesamtheit zu begreifen - in seinen additiven wie auch den subtraktiven Bestandteilen.«
Das klang, fand er, durchaus vernünftig, trotzdem war ihm deswegen keine Spur wohler bei der Sache. »Und Nicci hat sich selbst dazu bereit erklärt?«
Nathan räusperte sich. »Es war sogar ihre Idee.« Natürlich. Manchmal konnte sich Richard des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Frau eine gewisse Todessehnsucht verspürte. In Momenten wie diesen wünschte er sich, mehr über diese Dinge zu wissen. Er kam sich wieder einmal unwissend vor. Mit einer Handbewegung erfasste er das gesamte Arrangement, das dort über dem Tisch schwebte. »Mir war gar nicht bewusst, dass man für Prüfnetze Menschen benutzt. Ich meine, ich wusste gar nicht, dass solche Netze auf diese Weise um jemanden herum gewirkt werden.« »Das war auch uns nicht vollkommen klar«, erklärte Nathan mit der ihm eigenen tiefen, Autorität gebietenden Stimme.
Unter dem Blick des Propheten fühlte Richard sich unbehaglich, also wandte er sich an Zedd. »Was soll das heißen?« Zedd zuckte die Achseln. »Es ist das erste Mal, dass einer von uns jemals eine Gestaltanalyse
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