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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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gesamten Amazonasbecken ganz enorm sein.«
    Nur beispielsweise »Amazonas-Fluss« oder gar »Brasilien« als Fundort zu vermerken, sei zu vage, wird er später die Leser seiner Abhandlungen wiederholt warnen. Er selbst habe anfangs ebenfalls nur etwa »Rio Negro« bei vielen seiner Fundstücke vermerkt, bevor er erkannte, wie wichtig eine präzisere Angabe sein würde. Fortan notiert Wallace bei sämtlichen der von ihm gesammelten Tiere die Angabe zur Örtlichkeit so sorgfältig wie möglich. »Während meines Aufenthaltes in Amazonien nahm ich jede Gelegenheit wahr, Verbreitungsgrenzen von Arten herauszufinden. Bald bemerkte ich, dass der Amazonas, der Rio Negro und der Madeira Grenzen bildeten, die manche Arten nie überquerten.« Solche örtlichen Besonderheiten haben nicht nur praktische Folgen für Wallace als Naturaliensammler; vielmehr beginnt der Naturforscher in ihm darüber nachzudenken, was dieses unterschiedliche Vorkommen bedeutet. Warum gibt es am Amazonas auf jeder Seite des Stromes jeweils verschiedene, aber doch ähnliche und offenkundig nächstverwandte Arten? Es muss doch einen Grund geben dafür, dass jede Art just in demjenigen Lebensraum anzutreffen ist, wo sie jetzt lebt. »Welches aber sind die Umstände, die bestimmte Flüsse oder Berge zur Grenze zahlreicher Arten machen?«, fragt sich Wallace.
    Schließlich beobachtet er die auffälligen Verbreitungsmuster bei nicht weniger als 21 verschiedenen Affenarten des Amazonas mit eigenen Augen; darunter neben den Brüll- und Wollaffen vor allem Klammer-, Kapuziner- und Krallenaffen oder Marmosetten, auch Kurzschwanzaffen oder Uakaris; sieben mit Klammerschwanz und vierzehn ohne einen solchen. Immer ist es dasselbe Bild: gleiche Gattung, jeweils andere Arten je nach Fluss und Flussuferseite. Tatsächlich ist die Vielfalt an Affen in Südamerika besonders groß; immerhin lebt von über 360 weltweit bekannten Affenarten fast ein Drittel auf diesem Kontinent, viele davon in Brasilien und hier insbesondere im Einzugsgebiet des Amazonas. Wallace ahnt, dass eine solche Artenfülle direkt etwas mit den Flüssen zu tun hat; er weiß nur noch nicht genau, was.
    Wie sehr Wallace diese Frage der Amazonas-Affen beschäftigt, mag man daran sehen, dass er – nicht einmal seit drei Monaten nach England zurückgekehrt – am 14. Dezember 1852 bei einem Treffen der Zoologischen Gesellschaft in London einen Bericht darüber gibt. Nach einer kurzen Darstellung jeder der von ihm beobachteten Affenarten diskutiert er auch ihr geographisches Vorkommen; nicht ohne hier zu bemerken, wie ungenau und damit unzureichend für eine nähere Beurteilung die bisherigen Fundort-Angaben in den Berichten anderer Reisender und in den naturkundlichen Museumssammlungen seien. Sein Vortrag »On the Monkeys of the Amazon« erscheint 1853 gedruckt in den Abhandlungen der Gesellschaft; auch widmet er sich in seinem Reisebericht vom Amazonas ausführlich diesem Thema. Wallace unterscheidet aufgrund seiner Befunde an den Affen vier getrennte Distrikte, wie er diese Regionen nennt. In der Nähe von Barra, wo sich der obere Amazonas wie ein Hahnenfuß in drei große Flüsse aufspaltet (neben dem Hauptstrom der Rio Negro und der Madeira), kommen diese vier keilförmigen Distrikte zusammen: das Guayana-Viertel aus Nordosten, das Ecuador-Viertel aus Nordwesten, das Peru-Viertel von Süden und das Brasilien-Viertel aus Südosten. Diese werden jeweils durch die großen Ströme des Amazonas begrenzt und weisen ihre ganz eigene Garnitur an Arten auf. »Erst nahe der jeweiligen Quellregion hören die Flüsse auf, als Barrieren zu wirken, und hier findet man nun die meisten Arten auf beiden Seiten.«
    Erstmals leitet Wallace hier ein biogeographisches Muster aus seinen Beobachtungen ab. Er geht damit über frühere Naturforscher wie Alexander von Humboldt am Orinoco oder Johann Baptist Ritter von Spix am Amazonas hinaus. Letzterer hatte bei seinen Funden jeweils nur »am Ufer des Amazonas« notiert und somit das jeweils deutlich lokalere Vorkommen diesseits oder jenseits des Flusses ignoriert, von dem aber auch die dort ansässigen Indianer sehr wohl wussten. Wallace legt mit seiner Amazonas-Affen-Arbeit den ersten Grundstein für eine eigene Wissenschaft – die Biogeographie, die sich systematisch mit dem räumlichen Vorkommen und der Verbreitung von Lebewesen beschäftigt, und die er dann später durch seine Entdeckungen im indo-australischen Archipel begründen wird. Zwar ist sein Schema der

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