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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Einteilung des Amazonas-Stromsystems noch simpel; dennoch ist Wallace mit solchen Überlegungen seiner Zeit weit voraus. Heute wissen wir, dass die gewaltigen Ströme das gesamte Amazonasbecken zerschneiden und isolierte Landteile gleichsam wie Inseln bilden; auf diesen sind einzelne Tierarten regelrecht gefangen. Tatsächlich können Affen nicht schwimmen, sie ertrinken in einem Fluss bereits wenige Meter vom Ufer entfernt. So bleiben einzelne Affenarten auf diesen Land-Inseln am Amazonas voneinander isoliert, selbst wenn sie in scheinbar nächster Nähe zueinander leben. Allerdings ändern sich die Stromsysteme; es sind mäandrierende Gewässer, die sich beständig neue Wege bahnen und so Waldstücke gewissermaßen von einer auf die andere Seite wandern lassen. Dadurch entsteht ein kleinräumiges Mosaik, in dem immer wieder andere Arten voneinander getrennt werden.
    Was Wallace bei seiner Reise allenfalls in ersten Ansätzen ahnt: Das dynamische Flusssystem Amazoniens ist gleichsam ein natürliches Laboratorium der Evolution. Zwar hat Wallace am Amazonas noch kein Heureka-Erlebnis als Evolutionist, doch bereiten seine Beobachtungen biogeographisch den Boden für eine weitere grundsätzliche Überlegung in diese Richtung des Denkens. Offenbar sind der Verbreitung von Tieren Grenzen gesetzt; angesichts solcher Grenzen im Gelände beginnt sich Wallace zu fragen, wie sich nun die Grenzen zwischen einzelnen Lebewesen bestimmen lassen, den vermeintlich konstanten Arten und Artengruppen bei Tieren und Pflanzen.
    Fahrt auf dem Rio Uaupés: Zeit zum Nachdenken hat Alfred Russel Wallace am Amazonas reichlich. Über viele Monate durchstreift er, abgeschieden und weitgehend auf sich gestellt, die Flusslandschaften der Zuflüsse des Rio Negro. Getrieben vom Ehrgeiz, Neues zu entdecken und neue Arten zu sammeln, sich einen Namen als »naturalist« zu machen, drängt er weiter hinauf in die unwegsamen Gebiete des oberen Amazonas. Sie sollten bitte nicht glauben, schreibt Wallace in einem Brief an seine Familie, es vergehe »ein einziger Tag oder eine Nacht, ohne dass ich an Euch alle denke«. Doch bevor er zurückkehren könne, wolle er dieses großartige Land erforschen, dabei »nicht nur sehen und tun, was andere vor mir getan haben, sondern neue Befunde zur Wissenschaft beitragen, die nur ich zu liefern vermag – das ist es, was mich antreibt«. Unmerklich erst für ihn selbst, wird sein Wunsch immer drängender, nicht nur Naturalien zu sammeln; inzwischen hat Wallace eine Vision von sich als Naturforscher. Dazu aber muss er weiter in unbekannte Regionen vordringen.
    Die erste Expedition auf dem Rio Uaupés, dem großen Zufluss des Rio Negro im Westen, bringt Wallace bis zum zweiten Katarakt. Er entdeckt eine Region gleich einem natürlichen Orchideen-Garten; einmal findet er dreißig verschiedene Arten auf einem nur einstündigen Streifzug. Dazu kommen unzählige Bromelien und Lianengewächse. Auch die Tierwelt ist hier jenes Tropen-Paradies, von dem er und Bates geträumt haben, als sie aufbrachen. Er hört einmal mehr von dem sagenhaften weißen Schirmvogel und einer besonders bunt gezeichneten Wasserschildkröte der Gattung Chrysemys. Dann erkrankt er schwer an wiederkehrenden Fiebern, Gelbfieber oder auch Malaria, dazu noch an Ruhr. Er muss umkehren und rudert nach fünf Monaten, geschwächt von Fieber und Durchfall, mehr als zweitausend Kilometer zurück nach Barra. Hier kann er seine Sammlung versorgen und zum Versand vorbereiten, seine Vorräte aufstocken und sich vor allem von den Anstrengungen erholen. Unbedingt will er wieder aufbrechen und fährt – »nach reiflicher Überlegung«, wie er notiert – schon nach zwei Wochen nochmals zum Rio Uaupés hinauf. Diesmal ist er sieben Monate unterwegs, aber die Expedition wird eine beinahe tödliche Tortur. Wallace ist die gesamte Fahrt über krank, meist kann er auf einen Stock gestützt nicht weiter als ein paar Schritte am Flussufer entlang gehen; er muss indianische Helfer in den Wald zum Sammeln schicken. Nach Tagen und Nächten, in einem Zustand eigenartiger Trance und mehr träumend als wirklich wach, ist es ihm beinahe egal, ob er mit den Indianern, die sein Kanu rudern, in den reißenden Stromschnellen versinkt oder nicht. Das Chinin, das er jetzt regelmäßig einnimmt, vermag die Malaria kaum mehr in Schach zu halten. Die Ruhr bringt ihn fast um; tagelang sind der Saft von Orangen und ein paar Cashewnüsse das Einzige, was er zu sich nehmen kann. Einmal ist es

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