Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
seines zarten Gefieders, erfreut darüber, so sein Bericht, dass »nicht ein Blutfleck die Pracht beschmutzt und keine Feder geknickt war. Der weiche, warme, biegsame Körper wurde durch die Federn eingehüllt, wie es kein ausgestopftes Exemplar je zu zeigen vermag.« Dieser Moment mit dem Felsenhahn nimmt die Begegnung mit den farbenprächtigen Paradiesvögeln vorweg, um deren willen Wallace Jahre später bis zum Ende des indo-australischen Archipels reisen wird. Hier auf der Serra bringt Wallace während der neun Tage seiner Exkursion zwölf Klippenvögel zusammen; zehn davon haben Indianer für ihn mit ihren »gravatánas«, dem Blasrohr, erlegt. Sie bringen ihm auch andere exotische Vögel der Region, darunter Trogone und Tangare, die meisengroßen Manakins oder Schnurrvögel, die spechtverwandten Bartvögel und Ameisendrosseln.
Zurück am Fluss werden die kommenden Wochen und Monate am Oberlauf des Rio Negro für Alfred Wallace zur Strapaze. Flussschnellen, starke Strömung und Regenfälle verhindern immer wieder ein schnelleres Vorankommen seines Kanus; und die Einheimischen sind oft genug nur schwer zu überreden, ihm beim Rudern und Jagen zu helfen. Umso größer seine Bewunderung für den Naturforscher Johann Natterer aus Wien, der zwischen 1817 und 1835 Brasilien bereiste und vor ihm auch den oberen Rio Negro befahren hat – und der sich hier auf ganz eigene Weise verewigte. Wallace begegnet in Guía einer siebzehnjährigen »malelúca«, einer überaus hübschen Erscheinung von besonderer Anmut. »Sie war ein schönes Exemplar jener noblen Rasse, die aus der Vermischung von sächsischem mit indianischem Blut entsteht«, sinniert er über Natterers Spuren.
Wallace wird sich am Rio Negro auf andere Weise verewigen. Hier kommen ihm seine Lehrjahre als Landvermesser zugute; er weiß, wie man mit einem Kompass, einem Taschensextanten und einer guten Uhr umgeht. Als Erster überhaupt legt Wallace eine detaillierte Karte vom Lauf des Rio Negro und seiner Zuflüsse an, mit präzisen Angaben der Breitengrade und den extrapolierten Messungen der Längengrade, notiert darin minutiös die vielen Stromschnellen, für die die Indianer sämtlich Namen haben. Er wird diese von Hand entworfene und kolorierte Karte später zusammen mit seinem Reisebericht vom Rio Negro veröffentlichen und sich damit einen Namen auch als Geograph machen. Das Original dieser Karte, auf Leinen aufgezogen und im Format 130 mal 84 Zentimeter, zeigt viele Details, die Wallace bereits im Gelände vermerkt. Bis heute befindet sich die Karte in der Royal Geographical Society in London, wo sie Wallace erstmals 1852 präsentiert. Die Hauptkarte zeigt den Rio Negro von seiner Mündung in den Amazonas bei Barra bis hinauf ins venezolanische Grenzland und den Rio Uaupés, der bei Sao Joaquim mit dem Rio Negro zusammenfließt; von Letzterem legt er zudem eine Nebenkarte in größerem Maßstab an, mit sämtlichen Katarakten, Stromschnellen und Wasserfällen. In den beiden detaillierten Karten vermerkt Wallace auch das Vorkommen von Tieren an den gegenüberliegenden Ufern und die Namen der indianischen Dörfer entlang des gesamten Flusslaufs. Über viele Jahre ist Wallace’ Karte vom Rio Negro die einzige dieser Region; noch Jahrzehnte später gilt sie als akkurate Navigationshilfe auf dem Fluss – und als das Beste, was es gibt, auch wenn die stets stark verkleinerten Reproduktionen der großen Karte dies kaum widerspiegeln.
Anfang 1851 erreicht Wallace Sao Carlos und damit gleichsam heiligen Boden. Denn bis hierher war Humboldt einst gekommen, dessen Bericht Wallace beinahe ein Jahrzehnt zuvor in der Bibliothek in Leicester gelesen hat. Er rudert mit seinen indianischen Helfern weiter, passiert die Einmündung des Casiquiare und erreicht schließlich zu Fuß jenes Örtchen Javíta im venezolanischen Hochland, wo er auf den Jaguar trifft – die Wasserscheide zum Orinoco. Doch mit dem ersten Tag seiner Ankunft endet die Trockenzeit und es regnet nun fast ununterbrochen jeden Nachmittag und die Nacht hindurch. Nicht nur das Sammeln wird dadurch behindert, auch macht es das Trocknen und Beschriften seines Materials schwer. Immerhin aber gehen ihm in den sechs Wochen seines Aufenthalts vierzig Arten an faszinierenden Tagfaltern ins Netz, die meisten neu für ihn und die Wissenschaft. Allen voran und gleich in mehreren Exemplaren die ansonsten raren, hell lavendelblau oder leuchtend satinblau gefärbten Morphofalter mit einer Flügelspannweite größer
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