Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Wallace klar, dürfte sein, dass jede Art nur jeweils in einem bestimmten Gebiet vorkommt. Der Fluss und der Wald ändern sich von Ort zu Ort, den Wallace entlang des gewaltigen Amazonas-Stromes besucht; ebenso ändert sich die Tierwelt, die er in den einzelnen Regionen antrifft; es leben im Tiefland andere Arten als im Hochland und ebenso jeweils andere Arten am diesseitigen und jenseitigen Ufer der Flüsse, die er befährt. Wallace erkennt, wie wichtig es ist, exakt die Fundorte jedes einzelnen Exemplars und jeder Art, die er sammelt, zu notieren; so lässt sich das Gebiet des Vorkommens einer Art später in Karten vermerken. Es sind schließlich Affen, die ihm bei dieser Erkenntnis den Weg weisen.
Von den Affen am Amazonas: Zuallererst sind die Affen des Amazonas für Wallace von kulinarischem Interesse. Noch nahe der Mündung des Stromes, nur wenige Meilen von Pará entfernt, ist er eines Morgens unterwegs auf einem Streifzug durch den Wald, als er zum ersten Mal Brüllaffen sieht. »Zuerst hörte ich nur Rascheln im Geäst, wie wenn jemand rasch durch ein Gebüsch streicht, und erwartete einen Indianer auf der Jagd zu sehen. Dann erscholl ihr Rufen in den Ästen über mir und ich erblickte einen großen Affen, der auf mich herabsah und mindestens ebenso überrascht war wie ich selbst.« Am nächsten Tag kommt Wallace wieder und schießt einen von ihnen aus den Bäumen. »Ich hatte gehört, wie gut sie sein sollten. So nahm ich ihn mit nach Hause, brach das Tier fachgerecht auf und röstete sein Fleisch zum Frühstück.«
Als er dann die Nebenflüsse im oberen Amazonas-Becken bereist, bemerkt er, dass an jedem von ihnen eine andere Art dieser Klammerschwanzaffen der Gattung Alouatta lebt (bei Wallace heißt diese irrigerweise noch Mycetes ). Der braune Brüllaffe (belzebul) am unteren Amazonas bei Pará, der schwarze (caraya) entlang des oberen Amazonas und der rote Brüllaffe am Rio Negro ( seniculus, den Wallace unter dem Artnamen ursinus führt). Bei einer anderen Gruppe von Affen, diesmal solchen mit buschigem Schwanz – den »Faultieraffen«, wie sie bei Wallace heißen, oder Sakis –, stellte er fest, dass eine Art (der Schweifaffe Pithecia irrorata ) am oberen Amazonas ausschließlich entlang des südlichen Ufers zu finden ist. Dagegen lebt eine nächstverwandte Art am gegenüberliegenden nördlichen Ufer; diese kennen Fachleute heute als Mönchsaffe Pithecus monachus. Über solche an sich offenkundigen Tatsachen des lokalen Vorkommens hat sich vor ihm kein Forscher am Amazonas groß Gedanken gemacht. Auch Wallace kann es sich anfangs nicht recht erklären. Welcher physische Umstand sollte für die verschiedenen Vorkommen verantwortlich sein? Stellt etwa der mächtige Strom selbst eine Barriere dar?
Nachdem es ihm erst einmal aufgefallen ist, beginnt er bei immer mehr Tierarten darauf zu achten, ob sie am nördlichen oder südlichen, diesseitigen oder jenseitigen Ufer des Stromes leben. So entdeckt er die Grenzen der Verbreitung bald nicht nur bei Brüll- und Faultieraffen, von denen er nie einen schwimmend im Fluss sieht und die das Wasser tunlichst meiden. Offenbar scheuen sich auch die sehr viel mobileren Insekten und Vögel – die meisten von ihnen sind waldlebende Arten –, über die offene Strecke der breiten Amazonas-Ströme hinwegzufliegen. Ihm fällt ein, wie er bei Santarem einmal ein Exemplar des wundervoll himmelblauen Edelfalters Callithea sapphira fing (er wird heute zur Gattung Asterope gerechnet); und dann nicht weit vom ersten Fundort entfernt, aber am gegenüberliegenden Ufer des Flusses, entdeckte er einen weiteren Falter. Dieser ist nun aber von tiefblauer Farbe und mit distinkter Zeichnung auf seinen Flügeln – ohne Zweifel eine neue Art. Sie lebt von der ihr nächstverwandten nur durch eine vergleichsweise unbedeutende Entfernung getrennt – indes der Distanz des hier noch immer kilometerbreiten Amazonas. Selbst bei den Fischen fällt Wallace auf, dass viele Arten im Amazonassystem meist nur lokal vorkommen und voneinander abweichen. Je nach Örtlichkeit sehen die Exemplare ein und derselben Art immer wieder etwas anders gefärbt und gezeichnet aus. Und jeder Flussabschnitt, ob am Oberlauf oder Unterlauf eines der Flüsse, weist neben weitverbreiteten Formen auch immer wieder eigene Fischarten auf, die nur dort vorkommen. »Wie der Amazonas hat auch jeder Zufluss jeweils seine eigenen Fische, vor allem in den Oberläufen. Dadurch wird die Zahl der verschiedenen Arten im
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